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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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dem Strome treibender Zweig und kann nicht Wurzel
schlagen, bis ich den Boden der Heimath erreiche und
getränkt werde mit dem Blute gerechter Sühne.

"Gebt mir einen Freibrief nach Bünden, edler Herr!
Ich habe vernommen, daß Euer Einfluß schon jetzt dort
mächtig ist und sich bald auf Eure siegreichen Waffen
stützen wird. Ich habe gegen mein Vaterland nie ge¬
frevelt und bin den Anschlägen meines Ohms und der
spanischen Partei in Gedanken und Thaten völlig fremd
geblieben. Ich will mein Erbhaus zurückfordern und
das Recht meines Vaters suchen, denn allein dazu bin
ich noch da."

Der Herzog hatte der schönen Fremden mit Auf¬
merksamkeit zugehört, jetzt ergriff er väterlich ihre Hand
und sagte mit überlegener Milde: "Ich begreife den
Schmerz Eurer Verlassenheit, mein Fräulein, auch bin
ich damit einverstanden, daß Ihr Euren heimathlichen
Boden wieder gewinnt und dort dem Andenken Eures
Vaters lebt. Gerne werd' ich durch einen Freibrief Euch
dazu behilflich sein. -- Anders verhält es sich mit dem,
was Ihr Sühne nennt. Bedarf es einer solchen, so,
glaubt es, wird sie nicht ausbleiben. Unser ganzes
Leben, ja das Leben der Menschheit seit ihrem Anfang
ist eine Verkettung von Schuld und Sühne. Schwer

dem Strome treibender Zweig und kann nicht Wurzel
ſchlagen, bis ich den Boden der Heimath erreiche und
getränkt werde mit dem Blute gerechter Sühne.

„Gebt mir einen Freibrief nach Bünden, edler Herr!
Ich habe vernommen, daß Euer Einfluß ſchon jetzt dort
mächtig iſt und ſich bald auf Eure ſiegreichen Waffen
ſtützen wird. Ich habe gegen mein Vaterland nie ge¬
frevelt und bin den Anſchlägen meines Ohms und der
ſpaniſchen Partei in Gedanken und Thaten völlig fremd
geblieben. Ich will mein Erbhaus zurückfordern und
das Recht meines Vaters ſuchen, denn allein dazu bin
ich noch da.“

Der Herzog hatte der ſchönen Fremden mit Auf¬
merkſamkeit zugehört, jetzt ergriff er väterlich ihre Hand
und ſagte mit überlegener Milde: „Ich begreife den
Schmerz Eurer Verlaſſenheit, mein Fräulein, auch bin
ich damit einverſtanden, daß Ihr Euren heimathlichen
Boden wieder gewinnt und dort dem Andenken Eures
Vaters lebt. Gerne werd' ich durch einen Freibrief Euch
dazu behilflich ſein. — Anders verhält es ſich mit dem,
was Ihr Sühne nennt. Bedarf es einer ſolchen, ſo,
glaubt es, wird ſie nicht ausbleiben. Unſer ganzes
Leben, ja das Leben der Menſchheit ſeit ihrem Anfang
iſt eine Verkettung von Schuld und Sühne. Schwer

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[174/0184] dem Strome treibender Zweig und kann nicht Wurzel ſchlagen, bis ich den Boden der Heimath erreiche und getränkt werde mit dem Blute gerechter Sühne. „Gebt mir einen Freibrief nach Bünden, edler Herr! Ich habe vernommen, daß Euer Einfluß ſchon jetzt dort mächtig iſt und ſich bald auf Eure ſiegreichen Waffen ſtützen wird. Ich habe gegen mein Vaterland nie ge¬ frevelt und bin den Anſchlägen meines Ohms und der ſpaniſchen Partei in Gedanken und Thaten völlig fremd geblieben. Ich will mein Erbhaus zurückfordern und das Recht meines Vaters ſuchen, denn allein dazu bin ich noch da.“ Der Herzog hatte der ſchönen Fremden mit Auf¬ merkſamkeit zugehört, jetzt ergriff er väterlich ihre Hand und ſagte mit überlegener Milde: „Ich begreife den Schmerz Eurer Verlaſſenheit, mein Fräulein, auch bin ich damit einverſtanden, daß Ihr Euren heimathlichen Boden wieder gewinnt und dort dem Andenken Eures Vaters lebt. Gerne werd' ich durch einen Freibrief Euch dazu behilflich ſein. — Anders verhält es ſich mit dem, was Ihr Sühne nennt. Bedarf es einer ſolchen, ſo, glaubt es, wird ſie nicht ausbleiben. Unſer ganzes Leben, ja das Leben der Menſchheit ſeit ihrem Anfang iſt eine Verkettung von Schuld und Sühne. Schwer

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/184>, abgerufen am 25.11.2024.