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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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hebt den blutenden Serbelloni auf und trägt ihn weg.
Die Wahrheit wird vertuscht, der Vorfall durch einen
unzeitigen Besuch bei dem jungen Planta nothdürftig
erklärt und als ein Mißverständniß achselzuckend beklagt.
Die schöne Lucretia aber begiebt sich schon am nächsten
Morgen in den Palast des Gubernatore, bittet um sei¬
nen Schutz, wird, da der Neffe nicht auf den Tod ver¬
wundet ist, vom Oheim mit höchster Auszeichnung, ja
mit Bewunderung aufgenommen und thut ihm den Ent¬
schluß kund, welches Schicksal ihrer dort warte, in ihre
bündnerischen Berge zurückzukehren, denn es sei besser
daheim zu darben als das schmachvolle Brot der Ver¬
bannung zu essen." --

Nach einer längern Pause fuhr Wertmüller fort:
"Der Schluß des Briefes ist merkwürdig. Man meint,
sie habe sich nach Venedig gewandt, um von meinem
Herzog einen Freibrief zur Heimreise zu begehren. --
Seid Ihr nicht stolz auf diese bündnerische Judith?
Diesmal hätte ich für meine Erzählung sicher auf Euren
Beifall gerechnet und Ihr schweigt wie eine Statua,
Herr Hauptmann?"

Mit neugierigen Augen schaute der Locotenent dem
gegenüber sitzenden Jenatsch, der sich zum Schutze gegen
den Abendwind fest in seinen Mantel gewickelt hatte,
in das von dem spanischen Hute beschattete Gesicht; aber

hebt den blutenden Serbelloni auf und trägt ihn weg.
Die Wahrheit wird vertuſcht, der Vorfall durch einen
unzeitigen Beſuch bei dem jungen Planta nothdürftig
erklärt und als ein Mißverſtändniß achſelzuckend beklagt.
Die ſchöne Lucretia aber begiebt ſich ſchon am nächſten
Morgen in den Palaſt des Gubernatore, bittet um ſei¬
nen Schutz, wird, da der Neffe nicht auf den Tod ver¬
wundet iſt, vom Oheim mit höchſter Auszeichnung, ja
mit Bewunderung aufgenommen und thut ihm den Ent¬
ſchluß kund, welches Schickſal ihrer dort warte, in ihre
bündneriſchen Berge zurückzukehren, denn es ſei beſſer
daheim zu darben als das ſchmachvolle Brot der Ver¬
bannung zu eſſen.“ —

Nach einer längern Pauſe fuhr Wertmüller fort:
„Der Schluß des Briefes iſt merkwürdig. Man meint,
ſie habe ſich nach Venedig gewandt, um von meinem
Herzog einen Freibrief zur Heimreiſe zu begehren. —
Seid Ihr nicht ſtolz auf dieſe bündneriſche Judith?
Diesmal hätte ich für meine Erzählung ſicher auf Euren
Beifall gerechnet und Ihr ſchweigt wie eine Statua,
Herr Hauptmann?“

Mit neugierigen Augen ſchaute der Locotenent dem
gegenüber ſitzenden Jenatſch, der ſich zum Schutze gegen
den Abendwind feſt in ſeinen Mantel gewickelt hatte,
in das von dem ſpaniſchen Hute beſchattete Geſicht; aber

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[165/0175] hebt den blutenden Serbelloni auf und trägt ihn weg. Die Wahrheit wird vertuſcht, der Vorfall durch einen unzeitigen Beſuch bei dem jungen Planta nothdürftig erklärt und als ein Mißverſtändniß achſelzuckend beklagt. Die ſchöne Lucretia aber begiebt ſich ſchon am nächſten Morgen in den Palaſt des Gubernatore, bittet um ſei¬ nen Schutz, wird, da der Neffe nicht auf den Tod ver¬ wundet iſt, vom Oheim mit höchſter Auszeichnung, ja mit Bewunderung aufgenommen und thut ihm den Ent¬ ſchluß kund, welches Schickſal ihrer dort warte, in ihre bündneriſchen Berge zurückzukehren, denn es ſei beſſer daheim zu darben als das ſchmachvolle Brot der Ver¬ bannung zu eſſen.“ — Nach einer längern Pauſe fuhr Wertmüller fort: „Der Schluß des Briefes iſt merkwürdig. Man meint, ſie habe ſich nach Venedig gewandt, um von meinem Herzog einen Freibrief zur Heimreiſe zu begehren. — Seid Ihr nicht ſtolz auf dieſe bündneriſche Judith? Diesmal hätte ich für meine Erzählung ſicher auf Euren Beifall gerechnet und Ihr ſchweigt wie eine Statua, Herr Hauptmann?“ Mit neugierigen Augen ſchaute der Locotenent dem gegenüber ſitzenden Jenatſch, der ſich zum Schutze gegen den Abendwind feſt in ſeinen Mantel gewickelt hatte, in das von dem ſpaniſchen Hute beſchattete Geſicht; aber

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/175>, abgerufen am 25.11.2024.