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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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edler Unbefangenheit am hellen Tage, auch sind es ganz
andere Summen."

Während Wertmüller noch die Papiere seiner über¬
füllten Brieftasche musterte, durchlief Jenatsch mit eini¬
ger Spannung die unrühmliche Liste, auf welcher er zu
seiner Befriedigung den Namen Waser nicht fand. Jetzt
zerriß er sie plötzlich in kleine Stücke. Erst als die
weißen Fetzen schon fern auf der von der Abendbrise
bewegten Fluth schwebten, ward Wertmüller seinen Ver¬
lust gewahr und hielt mit Mühe einen Ausbruch seines
Aergers zurück.

Jenatsch erklärte ihm ruhig, er habe als Freund
sein Bestes wahrgenommen, dies Papier würde ihm
und Andern nichts als Verdruß gebracht haben. Zürich
sei seine Wiege und Sohnespflicht sei's, die kleinen
Schwächen einer treuen Mutter zu verheimlichen.

"Was mich abhielt, Euch auf die Finger zu sehen,
Hauptmann, war dieser Brief," sagte der Locotenente.
"Er ist noch uneröffnet, wie ich gewahre, und steckt schon
seit drei Tagen in meiner Brieftasche. Ich habe wahr¬
haftig vergessen, ihn zu lesen. Gestattet mir, in Eurer
Gegenwart das Siegel zu brechen. Er kommt von
meinem Vetter, der in Mailand trotz seines Protestan¬
tismus als Handelsherr gute Geschäfte macht und beim
Gubernatore Serbelloni in Gunsten steht. Erlaubt mir,

Meyer, Georg Jenatsch. 11

edler Unbefangenheit am hellen Tage, auch ſind es ganz
andere Summen.“

Während Wertmüller noch die Papiere ſeiner über¬
füllten Brieftaſche muſterte, durchlief Jenatſch mit eini¬
ger Spannung die unrühmliche Liſte, auf welcher er zu
ſeiner Befriedigung den Namen Waſer nicht fand. Jetzt
zerriß er ſie plötzlich in kleine Stücke. Erſt als die
weißen Fetzen ſchon fern auf der von der Abendbriſe
bewegten Fluth ſchwebten, ward Wertmüller ſeinen Ver¬
luſt gewahr und hielt mit Mühe einen Ausbruch ſeines
Aergers zurück.

Jenatſch erklärte ihm ruhig, er habe als Freund
ſein Beſtes wahrgenommen, dies Papier würde ihm
und Andern nichts als Verdruß gebracht haben. Zürich
ſei ſeine Wiege und Sohnespflicht ſei's, die kleinen
Schwächen einer treuen Mutter zu verheimlichen.

„Was mich abhielt, Euch auf die Finger zu ſehen,
Hauptmann, war dieſer Brief,“ ſagte der Locotenente.
„Er iſt noch uneröffnet, wie ich gewahre, und ſteckt ſchon
ſeit drei Tagen in meiner Brieftaſche. Ich habe wahr¬
haftig vergeſſen, ihn zu leſen. Geſtattet mir, in Eurer
Gegenwart das Siegel zu brechen. Er kommt von
meinem Vetter, der in Mailand trotz ſeines Proteſtan¬
tismus als Handelsherr gute Geſchäfte macht und beim
Gubernatore Serbelloni in Gunſten ſteht. Erlaubt mir,

Meyer, Georg Jenatſch. 11
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[161/0171] edler Unbefangenheit am hellen Tage, auch ſind es ganz andere Summen.“ Während Wertmüller noch die Papiere ſeiner über¬ füllten Brieftaſche muſterte, durchlief Jenatſch mit eini¬ ger Spannung die unrühmliche Liſte, auf welcher er zu ſeiner Befriedigung den Namen Waſer nicht fand. Jetzt zerriß er ſie plötzlich in kleine Stücke. Erſt als die weißen Fetzen ſchon fern auf der von der Abendbriſe bewegten Fluth ſchwebten, ward Wertmüller ſeinen Ver¬ luſt gewahr und hielt mit Mühe einen Ausbruch ſeines Aergers zurück. Jenatſch erklärte ihm ruhig, er habe als Freund ſein Beſtes wahrgenommen, dies Papier würde ihm und Andern nichts als Verdruß gebracht haben. Zürich ſei ſeine Wiege und Sohnespflicht ſei's, die kleinen Schwächen einer treuen Mutter zu verheimlichen. „Was mich abhielt, Euch auf die Finger zu ſehen, Hauptmann, war dieſer Brief,“ ſagte der Locotenente. „Er iſt noch uneröffnet, wie ich gewahre, und ſteckt ſchon ſeit drei Tagen in meiner Brieftaſche. Ich habe wahr¬ haftig vergeſſen, ihn zu leſen. Geſtattet mir, in Eurer Gegenwart das Siegel zu brechen. Er kommt von meinem Vetter, der in Mailand trotz ſeines Proteſtan¬ tismus als Handelsherr gute Geſchäfte macht und beim Gubernatore Serbelloni in Gunſten ſteht. Erlaubt mir, Meyer, Georg Jenatſch. 11

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/171>, abgerufen am 26.11.2024.