Jetzt schaute er dieser Persönlichkeit von bestritte¬ nem Werthe Aug' in Auge und sie war anders, als sie in seiner Vorstellung gelebt hatte. Statt der rohen und zweideutigen Erscheinung eines geistlichen Demago¬ gen saß ein weltgewandter Mann mit der Sicherheit und Freiheit des Cavaliers in Wort und Bewegung vor ihm. -- Von der ungewöhnlichen militärischen Be¬ gabung des ehemaligen Pfarrers hatte ihn der im Na¬ men des Herzogs mit diesem geführte Briefwechsel ge¬ nügend überzeugt, aber was ihn überraschend berührte, war ein gewisser Zauber der Anmuth, der die kühnen Züge und warmen Worte des Bündners verschönt hatte, als dieser mit dem Herzog sprach. -- Der nichts weni¬ ger als arglose Zürcher fragte sich, ob diese Herzlichkeit ächt sei. Ja, sie sprudelte voll und natürlich, aber es war ihm nicht entgangen, daß die unausbleibliche Wir¬ kung dieses warmen Eindringens auf den Herzog eine gewollte, vielleicht im Voraus berechnete war.
Nachdem die Gondel einige schmale Wassergassen durchglitten, folgte sie auf kurze Zeit der Hauptader des venetianischen Verkehrs, dem Canal grande, wo in der Ferne mitten im Gewimmel der Gondeln und Fi¬ scherbarken noch das langsam und stolz dahinziehende Fahrzeug des Herzogs sichtbar war; dann, aufs Neue in die Schatten enger Lagunen sich vertiefend, eilte
Jetzt ſchaute er dieſer Perſönlichkeit von beſtritte¬ nem Werthe Aug' in Auge und ſie war anders, als ſie in ſeiner Vorſtellung gelebt hatte. Statt der rohen und zweideutigen Erſcheinung eines geiſtlichen Demago¬ gen ſaß ein weltgewandter Mann mit der Sicherheit und Freiheit des Cavaliers in Wort und Bewegung vor ihm. — Von der ungewöhnlichen militäriſchen Be¬ gabung des ehemaligen Pfarrers hatte ihn der im Na¬ men des Herzogs mit dieſem geführte Briefwechſel ge¬ nügend überzeugt, aber was ihn überraſchend berührte, war ein gewiſſer Zauber der Anmuth, der die kühnen Züge und warmen Worte des Bündners verſchönt hatte, als dieſer mit dem Herzog ſprach. — Der nichts weni¬ ger als argloſe Zürcher fragte ſich, ob dieſe Herzlichkeit ächt ſei. Ja, ſie ſprudelte voll und natürlich, aber es war ihm nicht entgangen, daß die unausbleibliche Wir¬ kung dieſes warmen Eindringens auf den Herzog eine gewollte, vielleicht im Voraus berechnete war.
Nachdem die Gondel einige ſchmale Waſſergaſſen durchglitten, folgte ſie auf kurze Zeit der Hauptader des venetianiſchen Verkehrs, dem Canal grande, wo in der Ferne mitten im Gewimmel der Gondeln und Fi¬ ſcherbarken noch das langſam und ſtolz dahinziehende Fahrzeug des Herzogs ſichtbar war; dann, aufs Neue in die Schatten enger Lagunen ſich vertiefend, eilte
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Jetzt ſchaute er dieſer Perſönlichkeit von beſtritte¬
nem Werthe Aug' in Auge und ſie war anders, als ſie
in ſeiner Vorſtellung gelebt hatte. Statt der rohen
und zweideutigen Erſcheinung eines geiſtlichen Demago¬
gen ſaß ein weltgewandter Mann mit der Sicherheit
und Freiheit des Cavaliers in Wort und Bewegung
vor ihm. — Von der ungewöhnlichen militäriſchen Be¬
gabung des ehemaligen Pfarrers hatte ihn der im Na¬
men des Herzogs mit dieſem geführte Briefwechſel ge¬
nügend überzeugt, aber was ihn überraſchend berührte,
war ein gewiſſer Zauber der Anmuth, der die kühnen
Züge und warmen Worte des Bündners verſchönt hatte,
als dieſer mit dem Herzog ſprach. — Der nichts weni¬
ger als argloſe Zürcher fragte ſich, ob dieſe Herzlichkeit
ächt ſei. Ja, ſie ſprudelte voll und natürlich, aber es
war ihm nicht entgangen, daß die unausbleibliche Wir¬
kung dieſes warmen Eindringens auf den Herzog eine
gewollte, vielleicht im Voraus berechnete war.
Nachdem die Gondel einige ſchmale Waſſergaſſen
durchglitten, folgte ſie auf kurze Zeit der Hauptader
des venetianiſchen Verkehrs, dem Canal grande, wo in
der Ferne mitten im Gewimmel der Gondeln und Fi¬
ſcherbarken noch das langſam und ſtolz dahinziehende
Fahrzeug des Herzogs ſichtbar war; dann, aufs Neue
in die Schatten enger Lagunen ſich vertiefend, eilte
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/161>, abgerufen am 27.11.2024.
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