selben auf, die den Namen: "Oberst Jakob Ruinell" als Ueberschrift trug. Sie war von oben bis unten mit langen Zahlenreihen bedeckt. Er tunkte die Feder ein und zog zwei dicke Striche kreuzweis über das ganze Blatt. Dann setzte er ein Kreuzchen auch neben den Namen und schrieb dazu: obiit diem supremum, ulti¬ mus suae gentis und das Datum. "Requiescat in pace. Seine Schuld sei ihm erlassen", sagte er. "Man versenkt den Letzten seines Geschlechts mit Wappen und Helm. Ich begrabe mit dem Ruinell seine Rechnung. Bezahlen würde sie mir doch niemand."
"Nun schleppe ich auch das noch hinter mir her!" seufzte der Andere.
"Werdet Ihr Euch flüchten? fragte Fausch.
"Nein, ich gehe nicht aus Venedig, ich lasse mich nicht vom Herzog Rohan hinwegreißen", versetzte Jenatsch leidenschaftlich, "jetzt, da der Kampf zur Befreiung meines Vaterlandes wieder entbrennen soll".
"Merkt wohl, Jenatsch", sagte Fausch, den Zeige¬ finger an die Nase legend, mit listigem Blicke, "der Provveditore hat Euch nicht umsonst hinüber nach Dal¬ matien geschickt. Sein Zweck ist, Euch von Rohan fern zu halten. Ahnt er doch, daß Euer gerades natürliches Wesen im Fluge das Vertrauen des edlen Herzogs ge¬ wänne, und daß Ihr in Bünden seine rechte Hand
ſelben auf, die den Namen: „Oberſt Jakob Ruinell“ als Ueberſchrift trug. Sie war von oben bis unten mit langen Zahlenreihen bedeckt. Er tunkte die Feder ein und zog zwei dicke Striche kreuzweis über das ganze Blatt. Dann ſetzte er ein Kreuzchen auch neben den Namen und ſchrieb dazu: obiit diem supremum, ulti¬ mus suae gentis und das Datum. „Requiescat in pace. Seine Schuld ſei ihm erlaſſen“, ſagte er. „Man verſenkt den Letzten ſeines Geſchlechts mit Wappen und Helm. Ich begrabe mit dem Ruinell ſeine Rechnung. Bezahlen würde ſie mir doch niemand.“
„Nun ſchleppe ich auch das noch hinter mir her!“ ſeufzte der Andere.
„Werdet Ihr Euch flüchten? fragte Fauſch.
„Nein, ich gehe nicht aus Venedig, ich laſſe mich nicht vom Herzog Rohan hinwegreißen“, verſetzte Jenatſch leidenſchaftlich, „jetzt, da der Kampf zur Befreiung meines Vaterlandes wieder entbrennen ſoll“.
„Merkt wohl, Jenatſch“, ſagte Fauſch, den Zeige¬ finger an die Naſe legend, mit liſtigem Blicke, „der Provveditore hat Euch nicht umſonſt hinüber nach Dal¬ matien geſchickt. Sein Zweck iſt, Euch von Rohan fern zu halten. Ahnt er doch, daß Euer gerades natürliches Weſen im Fluge das Vertrauen des edlen Herzogs ge¬ wänne, und daß Ihr in Bünden ſeine rechte Hand
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0143"n="133"/>ſelben auf, die den Namen: „Oberſt Jakob Ruinell“ als<lb/>
Ueberſchrift trug. Sie war von oben bis unten mit<lb/>
langen Zahlenreihen bedeckt. Er tunkte die Feder ein<lb/>
und zog zwei dicke Striche kreuzweis über das ganze<lb/>
Blatt. Dann ſetzte er ein Kreuzchen auch neben den<lb/>
Namen und ſchrieb dazu: <hirendition="#aq">obiit diem supremum</hi>, <hirendition="#aq">ulti¬<lb/>
mus suae gentis</hi> und das Datum. „<hirendition="#aq">Requiescat in<lb/>
pace</hi>. Seine Schuld ſei ihm erlaſſen“, ſagte er. „Man<lb/>
verſenkt den Letzten ſeines Geſchlechts mit Wappen und<lb/>
Helm. Ich begrabe mit dem Ruinell ſeine Rechnung.<lb/>
Bezahlen würde ſie mir doch niemand.“</p><lb/><p>„Nun ſchleppe ich auch das noch hinter mir her!“<lb/>ſeufzte der Andere.</p><lb/><p>„Werdet Ihr Euch flüchten? fragte Fauſch.</p><lb/><p>„Nein, ich gehe nicht aus Venedig, ich laſſe mich<lb/>
nicht vom Herzog Rohan hinwegreißen“, verſetzte Jenatſch<lb/>
leidenſchaftlich, „jetzt, da der Kampf zur Befreiung<lb/>
meines Vaterlandes wieder entbrennen ſoll“.</p><lb/><p>„Merkt wohl, Jenatſch“, ſagte Fauſch, den Zeige¬<lb/>
finger an die Naſe legend, mit liſtigem Blicke, „der<lb/>
Provveditore hat Euch nicht umſonſt hinüber nach Dal¬<lb/>
matien geſchickt. Sein Zweck iſt, Euch von Rohan fern<lb/>
zu halten. Ahnt er doch, daß Euer gerades natürliches<lb/>
Weſen im Fluge das Vertrauen des edlen Herzogs ge¬<lb/>
wänne, und daß Ihr in Bünden ſeine rechte Hand<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[133/0143]
ſelben auf, die den Namen: „Oberſt Jakob Ruinell“ als
Ueberſchrift trug. Sie war von oben bis unten mit
langen Zahlenreihen bedeckt. Er tunkte die Feder ein
und zog zwei dicke Striche kreuzweis über das ganze
Blatt. Dann ſetzte er ein Kreuzchen auch neben den
Namen und ſchrieb dazu: obiit diem supremum, ulti¬
mus suae gentis und das Datum. „Requiescat in
pace. Seine Schuld ſei ihm erlaſſen“, ſagte er. „Man
verſenkt den Letzten ſeines Geſchlechts mit Wappen und
Helm. Ich begrabe mit dem Ruinell ſeine Rechnung.
Bezahlen würde ſie mir doch niemand.“
„Nun ſchleppe ich auch das noch hinter mir her!“
ſeufzte der Andere.
„Werdet Ihr Euch flüchten? fragte Fauſch.
„Nein, ich gehe nicht aus Venedig, ich laſſe mich
nicht vom Herzog Rohan hinwegreißen“, verſetzte Jenatſch
leidenſchaftlich, „jetzt, da der Kampf zur Befreiung
meines Vaterlandes wieder entbrennen ſoll“.
„Merkt wohl, Jenatſch“, ſagte Fauſch, den Zeige¬
finger an die Naſe legend, mit liſtigem Blicke, „der
Provveditore hat Euch nicht umſonſt hinüber nach Dal¬
matien geſchickt. Sein Zweck iſt, Euch von Rohan fern
zu halten. Ahnt er doch, daß Euer gerades natürliches
Weſen im Fluge das Vertrauen des edlen Herzogs ge¬
wänne, und daß Ihr in Bünden ſeine rechte Hand
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/143>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.