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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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trotzen mochten. In dem durch die Verwitterung becken¬
förmig ausgehöhlten Bruche des einen Säulenstumpfes
hatte sich Regenwasser gesammelt. Ein Vogel hüpfte
auf dem Rande hin und her und nippte von dem klaren
Himmelswasser.

Jetzt erscholl aus der Ferne, vom Echo wiederholt
und verhöhnt, das Gebell eines Hundes. Hoch oben
an dem stellenweise grasbewachsenen Hange hatte ein
Bergamaskerhirt im Mittagsschlaf gelegen. Nun sprang
er auf, zog seinen Mantel fest um die Schultern und
warf sich in kühnen Schwüngen von einem vorragenden
Felsthurme hinunter zur Einholung seiner Schafheerde,
die sich in weißen beweglichen Punkten nach der Tiefe
hin verlor. Einer seiner zottigen Hunde setzte ihm
nach, der andere, vielleicht ein altes Thier, konnte seinem
Herrn nicht folgen. Er stand auf einem Vorsprunge
und winselte hilflos.

Und immer schwüler und stiller glühte der Mittag.
Die Sonne rückte vorwärts und die Wolken zogen.

Am Fuße einer schwarzen vom Gletscherwasser be¬
feuchteten Felswand rieselten die geräuschlos sich herunter¬
ziehenden Silberfäden in das Becken eines kleinen See's
zusammen. Gigantische, seltsam geformte Felsblöcke
umfaßten das reinliche, bis auf den Grund durchsichtige
Wasser. Nur an dem einen flachern Ende, wo es,

trotzen mochten. In dem durch die Verwitterung becken¬
förmig ausgehöhlten Bruche des einen Säulenſtumpfes
hatte ſich Regenwaſſer geſammelt. Ein Vogel hüpfte
auf dem Rande hin und her und nippte von dem klaren
Himmelswaſſer.

Jetzt erſcholl aus der Ferne, vom Echo wiederholt
und verhöhnt, das Gebell eines Hundes. Hoch oben
an dem ſtellenweiſe grasbewachſenen Hange hatte ein
Bergamaskerhirt im Mittagsſchlaf gelegen. Nun ſprang
er auf, zog ſeinen Mantel feſt um die Schultern und
warf ſich in kühnen Schwüngen von einem vorragenden
Felsthurme hinunter zur Einholung ſeiner Schafheerde,
die ſich in weißen beweglichen Punkten nach der Tiefe
hin verlor. Einer ſeiner zottigen Hunde ſetzte ihm
nach, der andere, vielleicht ein altes Thier, konnte ſeinem
Herrn nicht folgen. Er ſtand auf einem Vorſprunge
und winſelte hilflos.

Und immer ſchwüler und ſtiller glühte der Mittag.
Die Sonne rückte vorwärts und die Wolken zogen.

Am Fuße einer ſchwarzen vom Gletſcherwaſſer be¬
feuchteten Felswand rieſelten die geräuſchlos ſich herunter¬
ziehenden Silberfäden in das Becken eines kleinen See's
zuſammen. Gigantiſche, ſeltſam geformte Felsblöcke
umfaßten das reinliche, bis auf den Grund durchſichtige
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[4/0014] trotzen mochten. In dem durch die Verwitterung becken¬ förmig ausgehöhlten Bruche des einen Säulenſtumpfes hatte ſich Regenwaſſer geſammelt. Ein Vogel hüpfte auf dem Rande hin und her und nippte von dem klaren Himmelswaſſer. Jetzt erſcholl aus der Ferne, vom Echo wiederholt und verhöhnt, das Gebell eines Hundes. Hoch oben an dem ſtellenweiſe grasbewachſenen Hange hatte ein Bergamaskerhirt im Mittagsſchlaf gelegen. Nun ſprang er auf, zog ſeinen Mantel feſt um die Schultern und warf ſich in kühnen Schwüngen von einem vorragenden Felsthurme hinunter zur Einholung ſeiner Schafheerde, die ſich in weißen beweglichen Punkten nach der Tiefe hin verlor. Einer ſeiner zottigen Hunde ſetzte ihm nach, der andere, vielleicht ein altes Thier, konnte ſeinem Herrn nicht folgen. Er ſtand auf einem Vorſprunge und winſelte hilflos. Und immer ſchwüler und ſtiller glühte der Mittag. Die Sonne rückte vorwärts und die Wolken zogen. Am Fuße einer ſchwarzen vom Gletſcherwaſſer be¬ feuchteten Felswand rieſelten die geräuſchlos ſich herunter¬ ziehenden Silberfäden in das Becken eines kleinen See's zuſammen. Gigantiſche, ſeltſam geformte Felsblöcke umfaßten das reinliche, bis auf den Grund durchſichtige Waſſer. Nur an dem einen flachern Ende, wo es,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/14>, abgerufen am 24.11.2024.