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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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"Und wer war denn, mit Eurer Gnaden Erlaub¬
niß, das Herz und Augen erfrischende Frauenbild, dem
der Herr Locotenent nachschoß wie eine Kugel aus dem
Rohre?"

"Wie, Vater Lorenz, das solltet Ihr nicht wissen,"
meinte der Angeredete, "Ihr, die lebendige Tages¬
chronik und Fremdenliste von Venedig?" --

" Sie kommt mir sonderbar bekannt vor, und wer sie
ist, werd' ich herausbringen. Sicher keine dieser trä¬
gen Venetianerinnen, dafür erfreut sie sich zu leichter
Füße. Wißt nur, Herr Wertmüller, als ich sie vor¬
hin so schön und frei über das Campo schreiten sah,
da überkam mich eine Rührung. Mir war, als schritte
sie nicht neben dieser faulenden Lagune, sondern auf
den Bergpfaden meiner Heimat neben senkrechten Prä¬
zipizien und schäumenden Bächen. Noch eins! Ihr Die¬
ner, der alte weißbärtige Spitzbube mit den Jägeraugen
und dem Rosenkranze, ist ein Bündner so gewiß als ich."

"Also aus Euren Bergen," versetzte Wertmüller,
"und von Eurem Schlage."

"Was Wunder übrigens," meinte Fausch, "wenn
ein Salis oder ein anderes Haupt unserer französischen
Partei in diesem Augenblicke in der gastfreundlichen
Venezia zu thun hätte; zweifelt ja von uns Keiner
mehr daran, daß Euer Herr, der vieledle Heinrich

„Und wer war denn, mit Eurer Gnaden Erlaub¬
niß, das Herz und Augen erfriſchende Frauenbild, dem
der Herr Locotenent nachſchoß wie eine Kugel aus dem
Rohre?“

„Wie, Vater Lorenz, das ſolltet Ihr nicht wiſſen,“
meinte der Angeredete, „Ihr, die lebendige Tages¬
chronik und Fremdenliſte von Venedig?“ —

„ Sie kommt mir ſonderbar bekannt vor, und wer ſie
iſt, werd' ich herausbringen. Sicher keine dieſer trä¬
gen Venetianerinnen, dafür erfreut ſie ſich zu leichter
Füße. Wißt nur, Herr Wertmüller, als ich ſie vor¬
hin ſo ſchön und frei über das Campo ſchreiten ſah,
da überkam mich eine Rührung. Mir war, als ſchritte
ſie nicht neben dieſer faulenden Lagune, ſondern auf
den Bergpfaden meiner Heimat neben ſenkrechten Prä¬
zipizien und ſchäumenden Bächen. Noch eins! Ihr Die¬
ner, der alte weißbärtige Spitzbube mit den Jägeraugen
und dem Roſenkranze, iſt ein Bündner ſo gewiß als ich.“

„Alſo aus Euren Bergen,“ verſetzte Wertmüller,
„und von Eurem Schlage.“

„Was Wunder übrigens,“ meinte Fauſch, „wenn
ein Salis oder ein anderes Haupt unſerer franzöſiſchen
Partei in dieſem Augenblicke in der gaſtfreundlichen
Venezia zu thun hätte; zweifelt ja von uns Keiner
mehr daran, daß Euer Herr, der vieledle Heinrich

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[122/0132] „Und wer war denn, mit Eurer Gnaden Erlaub¬ niß, das Herz und Augen erfriſchende Frauenbild, dem der Herr Locotenent nachſchoß wie eine Kugel aus dem Rohre?“ „Wie, Vater Lorenz, das ſolltet Ihr nicht wiſſen,“ meinte der Angeredete, „Ihr, die lebendige Tages¬ chronik und Fremdenliſte von Venedig?“ — „ Sie kommt mir ſonderbar bekannt vor, und wer ſie iſt, werd' ich herausbringen. Sicher keine dieſer trä¬ gen Venetianerinnen, dafür erfreut ſie ſich zu leichter Füße. Wißt nur, Herr Wertmüller, als ich ſie vor¬ hin ſo ſchön und frei über das Campo ſchreiten ſah, da überkam mich eine Rührung. Mir war, als ſchritte ſie nicht neben dieſer faulenden Lagune, ſondern auf den Bergpfaden meiner Heimat neben ſenkrechten Prä¬ zipizien und ſchäumenden Bächen. Noch eins! Ihr Die¬ ner, der alte weißbärtige Spitzbube mit den Jägeraugen und dem Roſenkranze, iſt ein Bündner ſo gewiß als ich.“ „Alſo aus Euren Bergen,“ verſetzte Wertmüller, „und von Eurem Schlage.“ „Was Wunder übrigens,“ meinte Fauſch, „wenn ein Salis oder ein anderes Haupt unſerer franzöſiſchen Partei in dieſem Augenblicke in der gaſtfreundlichen Venezia zu thun hätte; zweifelt ja von uns Keiner mehr daran, daß Euer Herr, der vieledle Heinrich

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/132>, abgerufen am 24.11.2024.