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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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los am Grabe seiner Lucia gestanden, habe er mit ihr
alle Harmlosigkeit der Jugend, alle weichen Gefühle
und vielleicht jedes menschliche Erbarmen versenkt. Hatte
doch Wasers herzliche Theilnahme bei ihm keine Stätte,
nicht ein einziges erwiederndes Wort gefunden. Jenatsch
war dem Freunde gegenüber zu Stein geworden, und
die letzte Rede, fast die einzige auf der Reise, die er
beim Scheiden in Stalla an ihn gerichtet, hatte dem
jungen Zürcher beunruhigend und verhängnißvoll nach¬
geklungen. "Du wirst von mir hören!" hatte er ihm
zugerufen. Mit Jürg war Blasius Alexander fortge¬
gangen als einziger Begleiter. Dieser auch hatte das
Gebet über Lucias Grabe gesprochen und dabei schreck¬
liche alttestamentliche Worte so zusammengestellt, daß
Waser sie kaum mehr erkannte und sie ihm als der
Ausdruck gotteslästerlicher Rachsucht erschienen, Ueber¬
haupt war Blasius nicht sein Mann. Noch nie war
seine heitere, für die verschiedenen Seiten der Dinge
empfängliche Natur auf einen schrofferen Gegensatz
gestoßen, und ihm graute, seinen Freund in dessen
jetziger Stimmung mit diesem kalten Fanatiker zusammen
zu wissen.

Wie gesagt, eine Hiobspost folgte der andern. Un¬
mittelbar nach der Schlächterei besetzten die Spanier,
von Fuentes her eindringend, mit Heeresmacht das ganze

los am Grabe ſeiner Lucia geſtanden, habe er mit ihr
alle Harmloſigkeit der Jugend, alle weichen Gefühle
und vielleicht jedes menſchliche Erbarmen verſenkt. Hatte
doch Waſers herzliche Theilnahme bei ihm keine Stätte,
nicht ein einziges erwiederndes Wort gefunden. Jenatſch
war dem Freunde gegenüber zu Stein geworden, und
die letzte Rede, faſt die einzige auf der Reiſe, die er
beim Scheiden in Stalla an ihn gerichtet, hatte dem
jungen Zürcher beunruhigend und verhängnißvoll nach¬
geklungen. „Du wirſt von mir hören!“ hatte er ihm
zugerufen. Mit Jürg war Blaſius Alexander fortge¬
gangen als einziger Begleiter. Dieſer auch hatte das
Gebet über Lucias Grabe geſprochen und dabei ſchreck¬
liche altteſtamentliche Worte ſo zuſammengeſtellt, daß
Waſer ſie kaum mehr erkannte und ſie ihm als der
Ausdruck gottesläſterlicher Rachſucht erſchienen, Ueber¬
haupt war Blaſius nicht ſein Mann. Noch nie war
ſeine heitere, für die verſchiedenen Seiten der Dinge
empfängliche Natur auf einen ſchrofferen Gegenſatz
geſtoßen, und ihm graute, ſeinen Freund in deſſen
jetziger Stimmung mit dieſem kalten Fanatiker zuſammen
zu wiſſen.

Wie geſagt, eine Hiobspoſt folgte der andern. Un¬
mittelbar nach der Schlächterei beſetzten die Spanier,
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[108/0118] los am Grabe ſeiner Lucia geſtanden, habe er mit ihr alle Harmloſigkeit der Jugend, alle weichen Gefühle und vielleicht jedes menſchliche Erbarmen verſenkt. Hatte doch Waſers herzliche Theilnahme bei ihm keine Stätte, nicht ein einziges erwiederndes Wort gefunden. Jenatſch war dem Freunde gegenüber zu Stein geworden, und die letzte Rede, faſt die einzige auf der Reiſe, die er beim Scheiden in Stalla an ihn gerichtet, hatte dem jungen Zürcher beunruhigend und verhängnißvoll nach¬ geklungen. „Du wirſt von mir hören!“ hatte er ihm zugerufen. Mit Jürg war Blaſius Alexander fortge¬ gangen als einziger Begleiter. Dieſer auch hatte das Gebet über Lucias Grabe geſprochen und dabei ſchreck¬ liche altteſtamentliche Worte ſo zuſammengeſtellt, daß Waſer ſie kaum mehr erkannte und ſie ihm als der Ausdruck gottesläſterlicher Rachſucht erſchienen, Ueber¬ haupt war Blaſius nicht ſein Mann. Noch nie war ſeine heitere, für die verſchiedenen Seiten der Dinge empfängliche Natur auf einen ſchrofferen Gegenſatz geſtoßen, und ihm graute, ſeinen Freund in deſſen jetziger Stimmung mit dieſem kalten Fanatiker zuſammen zu wiſſen. Wie geſagt, eine Hiobspoſt folgte der andern. Un¬ mittelbar nach der Schlächterei beſetzten die Spanier, von Fuentes her eindringend, mit Heeresmacht das ganze

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/118>, abgerufen am 24.11.2024.