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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet
wurde. Und doch steht, wie Ihr seht, noch Albis und
Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat
noch ihren alten Weg. Hütet also Euern Geist und
Eure Zunge vor Irrlehre und eigenmächtiger Deutung."

Der Alte senkte den Kopf, murmelte aber zwischen
den Zähnen: "Daß es so lange nicht eingetroffen ist,
beweist mir gerade, daß es jetzt eintrifft."

Kuri Lehmann, der hart neben Waser stehend, sein
langes Ruder führte, streifte jetzt diesen mit einem
scharfen Blicke aus seinen wasserhellen, von niedrigen,
schwarzbuschigen Brauen beschatteten Augen. Diese durch¬
dringenden, sonst kalt verständigen Augen brannten in
frechem Feuer.

"Warum, Herr Amtschreiber, schicken die Gnädigen
in Zürich nicht uns Seebuben gegen die Spaniolen und
Jesuiten im Veltlin? Ist Ihnen das Herz in die Hosen
gefallen?" sagte er.

"Halt das Maul, um Gotteswillen, Bub!" rief
erschrocken der alte Lehmann, der am Steuer diese
respektlose Rede gehört hatte, und fuhr mit der rechten
Hand in die Höhe, als wollte er ihm das Wort im
Munde zerschlagen. Aber er faßte sich und fügte mit
ungewohnter Süße hinzu: "Die Herren in Zürich wer¬
den in ihrer Weisheit das Rechte schon treffen".

das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet
wurde. Und doch ſteht, wie Ihr ſeht, noch Albis und
Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat
noch ihren alten Weg. Hütet alſo Euern Geiſt und
Eure Zunge vor Irrlehre und eigenmächtiger Deutung.“

Der Alte ſenkte den Kopf, murmelte aber zwiſchen
den Zähnen: „Daß es ſo lange nicht eingetroffen iſt,
beweiſt mir gerade, daß es jetzt eintrifft.“

Kuri Lehmann, der hart neben Waſer ſtehend, ſein
langes Ruder führte, ſtreifte jetzt dieſen mit einem
ſcharfen Blicke aus ſeinen waſſerhellen, von niedrigen,
ſchwarzbuſchigen Brauen beſchatteten Augen. Dieſe durch¬
dringenden, ſonſt kalt verſtändigen Augen brannten in
frechem Feuer.

„Warum, Herr Amtſchreiber, ſchicken die Gnädigen
in Zürich nicht uns Seebuben gegen die Spaniolen und
Jeſuiten im Veltlin? Iſt Ihnen das Herz in die Hoſen
gefallen?“ ſagte er.

„Halt das Maul, um Gotteswillen, Bub!“ rief
erſchrocken der alte Lehmann, der am Steuer dieſe
reſpektloſe Rede gehört hatte, und fuhr mit der rechten
Hand in die Höhe, als wollte er ihm das Wort im
Munde zerſchlagen. Aber er faßte ſich und fügte mit
ungewohnter Süße hinzu: „Die Herren in Zürich wer¬
den in ihrer Weisheit das Rechte ſchon treffen“.

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[101/0111] das Ende der Welt von heute auf morgen erwartet wurde. Und doch ſteht, wie Ihr ſeht, noch Albis und Uto wie zu der Helvetier Zeiten und fließt die Limmat noch ihren alten Weg. Hütet alſo Euern Geiſt und Eure Zunge vor Irrlehre und eigenmächtiger Deutung.“ Der Alte ſenkte den Kopf, murmelte aber zwiſchen den Zähnen: „Daß es ſo lange nicht eingetroffen iſt, beweiſt mir gerade, daß es jetzt eintrifft.“ Kuri Lehmann, der hart neben Waſer ſtehend, ſein langes Ruder führte, ſtreifte jetzt dieſen mit einem ſcharfen Blicke aus ſeinen waſſerhellen, von niedrigen, ſchwarzbuſchigen Brauen beſchatteten Augen. Dieſe durch¬ dringenden, ſonſt kalt verſtändigen Augen brannten in frechem Feuer. „Warum, Herr Amtſchreiber, ſchicken die Gnädigen in Zürich nicht uns Seebuben gegen die Spaniolen und Jeſuiten im Veltlin? Iſt Ihnen das Herz in die Hoſen gefallen?“ ſagte er. „Halt das Maul, um Gotteswillen, Bub!“ rief erſchrocken der alte Lehmann, der am Steuer dieſe reſpektloſe Rede gehört hatte, und fuhr mit der rechten Hand in die Höhe, als wollte er ihm das Wort im Munde zerſchlagen. Aber er faßte ſich und fügte mit ungewohnter Süße hinzu: „Die Herren in Zürich wer¬ den in ihrer Weisheit das Rechte ſchon treffen“.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/111>, abgerufen am 24.11.2024.