nicht, seine Todte, deren stilles sanftes Haupt wie ge¬ knickt ihm an der Schulter ruhte. Er wollte sie nicht auf der Mordstätte zurücklassen. Waser konnte trotz der Gefahr der Stunde den Blick nicht verwenden von diesem Nachtbilde sprachlosen Grimms und unversöhnlicher Trauer. Er mußte an einen Engel des Gerichts denken, der eine unschuldige Seele durch die Flammen trägt. Aber es war kein Bote des Lichts, es war ein Engel des Schreckens.
Indeß die Bündner durch den Garten nach dem Fuße des Gebirges enteilten, hatte der Pater in der Küche neben Feuer und Rauch standhaft den Augenblick erwartet, wo die Thüre in Splitter flog. Jetzt sprang er, das Crucifix in der vorgestreckten Rechten, zwischen die Pfosten und rief der blutlechzenden Menge entgegen:
"Heilige Mutter Gottes! Wollt ihr mit den Ketzern verbrennen? . . . Feuer vom Himmel hat sie verzehrt! Löschet! Rettet euer Dorf! . ." Und hinter ihm prasselte die lebendige Gluth.
Mit einem Wehgeheul, das nichts Menschliches mehr hatte, wichen die Entsetzten zurück und es entstand eine unbeschreibliche Verwirrung. Blitzschnell verbreitete sich die Sage, Sankt Franziskus in eigener Person habe die Ketzer im protestantischen Pfarrhause vernichtet und sei in erhabener Gestalt den Gläubigen erschienen.
nicht, ſeine Todte, deren ſtilles ſanftes Haupt wie ge¬ knickt ihm an der Schulter ruhte. Er wollte ſie nicht auf der Mordſtätte zurücklaſſen. Waſer konnte trotz der Gefahr der Stunde den Blick nicht verwenden von dieſem Nachtbilde ſprachloſen Grimms und unverſöhnlicher Trauer. Er mußte an einen Engel des Gerichts denken, der eine unſchuldige Seele durch die Flammen trägt. Aber es war kein Bote des Lichts, es war ein Engel des Schreckens.
Indeß die Bündner durch den Garten nach dem Fuße des Gebirges enteilten, hatte der Pater in der Küche neben Feuer und Rauch ſtandhaft den Augenblick erwartet, wo die Thüre in Splitter flog. Jetzt ſprang er, das Crucifix in der vorgeſtreckten Rechten, zwiſchen die Pfoſten und rief der blutlechzenden Menge entgegen:
„Heilige Mutter Gottes! Wollt ihr mit den Ketzern verbrennen? . . . Feuer vom Himmel hat ſie verzehrt! Löſchet! Rettet euer Dorf! . .“ Und hinter ihm praſſelte die lebendige Gluth.
Mit einem Wehgeheul, das nichts Menſchliches mehr hatte, wichen die Entſetzten zurück und es entſtand eine unbeſchreibliche Verwirrung. Blitzſchnell verbreitete ſich die Sage, Sankt Franziskus in eigener Perſon habe die Ketzer im proteſtantiſchen Pfarrhauſe vernichtet und ſei in erhabener Geſtalt den Gläubigen erſchienen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0105"n="95"/>
nicht, ſeine Todte, deren ſtilles ſanftes Haupt wie ge¬<lb/>
knickt ihm an der Schulter ruhte. Er wollte ſie nicht<lb/>
auf der Mordſtätte zurücklaſſen. Waſer konnte trotz der<lb/>
Gefahr der Stunde den Blick nicht verwenden von dieſem<lb/>
Nachtbilde ſprachloſen Grimms und unverſöhnlicher<lb/>
Trauer. Er mußte an einen Engel des Gerichts denken,<lb/>
der eine unſchuldige Seele durch die Flammen trägt.<lb/>
Aber es war kein Bote des Lichts, es war ein Engel<lb/>
des Schreckens.</p><lb/><p>Indeß die Bündner durch den Garten nach dem<lb/>
Fuße des Gebirges enteilten, hatte der Pater in der<lb/>
Küche neben Feuer und Rauch ſtandhaft den Augenblick<lb/>
erwartet, wo die Thüre in Splitter flog. Jetzt ſprang er,<lb/>
das Crucifix in der vorgeſtreckten Rechten, zwiſchen die<lb/>
Pfoſten und rief der blutlechzenden Menge entgegen:</p><lb/><p>„Heilige Mutter Gottes! Wollt ihr mit den Ketzern<lb/>
verbrennen? . . . Feuer vom Himmel hat ſie verzehrt!<lb/>
Löſchet! Rettet euer Dorf! . .“ Und hinter ihm praſſelte<lb/>
die lebendige Gluth.</p><lb/><p>Mit einem Wehgeheul, das nichts Menſchliches<lb/>
mehr hatte, wichen die Entſetzten zurück und es entſtand<lb/>
eine unbeſchreibliche Verwirrung. Blitzſchnell verbreitete<lb/>ſich die Sage, Sankt Franziskus in eigener Perſon habe<lb/>
die Ketzer im proteſtantiſchen Pfarrhauſe vernichtet und<lb/>ſei in erhabener Geſtalt den Gläubigen erſchienen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[95/0105]
nicht, ſeine Todte, deren ſtilles ſanftes Haupt wie ge¬
knickt ihm an der Schulter ruhte. Er wollte ſie nicht
auf der Mordſtätte zurücklaſſen. Waſer konnte trotz der
Gefahr der Stunde den Blick nicht verwenden von dieſem
Nachtbilde ſprachloſen Grimms und unverſöhnlicher
Trauer. Er mußte an einen Engel des Gerichts denken,
der eine unſchuldige Seele durch die Flammen trägt.
Aber es war kein Bote des Lichts, es war ein Engel
des Schreckens.
Indeß die Bündner durch den Garten nach dem
Fuße des Gebirges enteilten, hatte der Pater in der
Küche neben Feuer und Rauch ſtandhaft den Augenblick
erwartet, wo die Thüre in Splitter flog. Jetzt ſprang er,
das Crucifix in der vorgeſtreckten Rechten, zwiſchen die
Pfoſten und rief der blutlechzenden Menge entgegen:
„Heilige Mutter Gottes! Wollt ihr mit den Ketzern
verbrennen? . . . Feuer vom Himmel hat ſie verzehrt!
Löſchet! Rettet euer Dorf! . .“ Und hinter ihm praſſelte
die lebendige Gluth.
Mit einem Wehgeheul, das nichts Menſchliches
mehr hatte, wichen die Entſetzten zurück und es entſtand
eine unbeſchreibliche Verwirrung. Blitzſchnell verbreitete
ſich die Sage, Sankt Franziskus in eigener Perſon habe
die Ketzer im proteſtantiſchen Pfarrhauſe vernichtet und
ſei in erhabener Geſtalt den Gläubigen erſchienen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/105>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.