Meyer, Franz Heinrich: Der in Erwegung göttlicher Wollthaten sich recht verhaltende Israeliter. Hildesheim, 1716.aber die Christen / die sich doch des Lichts der Offenbahrung rühmen / hierinnen von denen verfinsterten blinden Heyden nicht beschämet seyn? Auff der andern Seite finden wir die Werck-Heiligen / die ihnen einbilden / wie alles / was ihnen gutes von GOtt wiederfahren / nach ihrem Verdienst und Würdigkeit geschehen; sie wären solcher Güter und Gaben woll werth / und sey GOtt ihr Schuldener / der ihnen solche zu geben verpflichtet: folglich hätten sie nicht groß Ursach / sich für Demselben zu demüthigen und Ihm zu dancken. Und diese Unart hat man nicht bloß zu erkennen an denen alten / sondern auch neuen Pharisäern / als die gleichergestalt das non sum dignus, Domine, HErr / ich bin zu gering / woll dahinden lassen / und hingegen sich auffblähend / das dignus sum, HErr ich bins werth und würdig / und habe ich mit meiner Heiligkeit / strengen Fasten / Casteyen und dergleichen / mehr und überflüssiges / ja den Himmel und die Seligkeit / verdienet / anstimmen. Wobey zu bedauren / daß der Hoffarts-Geist auch die zuweilen eingenommen / und noch einnimmt und besitzet / die doch aus GOttes klaren und deutlichen Worte eines gantz andern unterrichtet und überzeuget sind; wenn sie ihre Frömmigkeit und Heiligkeit stets forne an die Spitze stellen / und sich mit stoltzen Einbildungen kitzeln. Aber ach! was will und soll doch alle unsere Frömmigkeit und Heiligkeit / daß die GOtt treiben solte uns mit Wollthaten zu versehen! Ist es denn von uns / so wir gerecht und heilig wandeln / oder ist es von GOtt? GOtt ists ja / der in uns wircket beyde das Wollen und Vollbringen / nach seinem Wollgefallen. Phil. II. 13. Ist denn unsere Gerechtigkeit und Heiligkeit auch also beschaffen / daß sie vollkommen gut / oder ist sie nicht viel mehr sehr mangelhafft und sehr beschmutzt? Wir sind ja allesammt wie die Unreinen / und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid. Es. XLIV. 6. Wer war heiliger als Jacob? und doch fand er an sich keine Würdigkeit / sondern hielt sich zu klein und zu gering. Wer war heiliger als David? und doch wuste Er von keiner selbst-Erhebung / sondern Er demüthigte sich und schrieb: Was ist der Mensch / daß du sein gedenckest / und des Menschen Kind / daß du dich sein annimmst. Ps. VIII. 5. Uber welche Worte ein alter aber die Christen / die sich doch des Lichts der Offenbahrung rühmen / hierinnen von denen verfinsterten blinden Heyden nicht beschämet seyn? Auff der andern Seite finden wir die Werck-Heiligen / die ihnen einbilden / wie alles / was ihnen gutes von GOtt wiederfahren / nach ihrem Verdienst und Würdigkeit geschehen; sie wären solcher Güter und Gaben woll werth / und sey GOtt ihr Schuldener / der ihnen solche zu geben verpflichtet: folglich hätten sie nicht groß Ursach / sich für Demselben zu demüthigen und Ihm zu dancken. Und diese Unart hat man nicht bloß zu erkennen an denen alten / sondern auch neuen Pharisäern / als die gleichergestalt das non sum dignus, Domine, HErr / ich bin zu gering / woll dahinden lassen / und hingegen sich auffblähend / das dignus sum, HErr ich bins werth und würdig / und habe ich mit meiner Heiligkeit / strengen Fasten / Casteyen und dergleichen / mehr und überflüssiges / ja den Himmel und die Seligkeit / verdienet / anstimmen. Wobey zu bedauren / daß der Hoffarts-Geist auch die zuweilen eingenommen / und noch einnim̃t und besitzet / die doch aus GOttes klaren und deutlichen Worte eines gantz andern unterrichtet und überzeuget sind; wenn sie ihre Frömmigkeit und Heiligkeit stets forne an die Spitze stellen / und sich mit stoltzen Einbildungen kitzeln. Aber ach! was will und soll doch alle unsere Frömmigkeit und Heiligkeit / daß die GOtt treiben solte uns mit Wollthaten zu versehen! Ist es denn von uns / so wir gerecht und heilig wandeln / oder ist es von GOtt? GOtt ists ja / der in uns wircket beyde das Wollen und Vollbringen / nach seinem Wollgefallen. Phil. II. 13. Ist denn unsere Gerechtigkeit und Heiligkeit auch also beschaffen / daß sie vollkommen gut / oder ist sie nicht viel mehr sehr mangelhafft und sehr beschmutzt? Wir sind ja allesam̃t wie die Unreinen / und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid. Es. XLIV. 6. Wer war heiliger als Jacob? und doch fand er an sich keine Würdigkeit / sondern hielt sich zu klein und zu gering. Wer war heiliger als David? und doch wuste Er von keiner selbst-Erhebung / sondern Er demüthigte sich und schrieb: Was ist der Mensch / daß du sein gedenckest / und des Menschen Kind / daß du dich sein annim̃st. Ps. VIII. 5. Uber welche Worte ein alter <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0036" n="34"/> aber die Christen / die sich doch des Lichts der Offenbahrung rühmen / hierinnen von denen verfinsterten blinden Heyden nicht beschämet seyn?</p> <p>Auff der andern Seite finden wir die Werck-Heiligen / die ihnen einbilden / wie alles / was ihnen gutes von GOtt wiederfahren / nach ihrem Verdienst und Würdigkeit geschehen; sie wären solcher Güter und Gaben woll werth / und sey GOtt ihr Schuldener / der ihnen solche zu geben verpflichtet: folglich hätten sie nicht groß Ursach / sich für Demselben zu demüthigen und Ihm zu dancken. Und diese Unart hat man nicht bloß zu erkennen an denen alten / sondern auch neuen Pharisäern / als die gleichergestalt das non sum dignus, Domine, HErr / ich bin zu gering / woll dahinden lassen / und hingegen sich auffblähend / das dignus sum, HErr ich bins werth und würdig / und habe ich mit meiner Heiligkeit / strengen Fasten / Casteyen und dergleichen / mehr und überflüssiges / ja den Himmel und die Seligkeit / verdienet / anstimmen. Wobey zu bedauren / daß der Hoffarts-Geist auch die zuweilen eingenommen / und noch einnim̃t und besitzet / die doch aus GOttes klaren und deutlichen Worte eines gantz andern unterrichtet und überzeuget sind; wenn sie ihre Frömmigkeit und Heiligkeit stets forne an die Spitze stellen / und sich mit stoltzen Einbildungen kitzeln. Aber ach! was will und soll doch alle unsere Frömmigkeit und Heiligkeit / daß die GOtt treiben solte uns mit Wollthaten zu versehen! Ist es denn von uns / so wir gerecht und heilig wandeln / oder ist es von GOtt? 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aber die Christen / die sich doch des Lichts der Offenbahrung rühmen / hierinnen von denen verfinsterten blinden Heyden nicht beschämet seyn?
Auff der andern Seite finden wir die Werck-Heiligen / die ihnen einbilden / wie alles / was ihnen gutes von GOtt wiederfahren / nach ihrem Verdienst und Würdigkeit geschehen; sie wären solcher Güter und Gaben woll werth / und sey GOtt ihr Schuldener / der ihnen solche zu geben verpflichtet: folglich hätten sie nicht groß Ursach / sich für Demselben zu demüthigen und Ihm zu dancken. Und diese Unart hat man nicht bloß zu erkennen an denen alten / sondern auch neuen Pharisäern / als die gleichergestalt das non sum dignus, Domine, HErr / ich bin zu gering / woll dahinden lassen / und hingegen sich auffblähend / das dignus sum, HErr ich bins werth und würdig / und habe ich mit meiner Heiligkeit / strengen Fasten / Casteyen und dergleichen / mehr und überflüssiges / ja den Himmel und die Seligkeit / verdienet / anstimmen. Wobey zu bedauren / daß der Hoffarts-Geist auch die zuweilen eingenommen / und noch einnim̃t und besitzet / die doch aus GOttes klaren und deutlichen Worte eines gantz andern unterrichtet und überzeuget sind; wenn sie ihre Frömmigkeit und Heiligkeit stets forne an die Spitze stellen / und sich mit stoltzen Einbildungen kitzeln. Aber ach! was will und soll doch alle unsere Frömmigkeit und Heiligkeit / daß die GOtt treiben solte uns mit Wollthaten zu versehen! Ist es denn von uns / so wir gerecht und heilig wandeln / oder ist es von GOtt? GOtt ists ja / der in uns wircket beyde das Wollen und Vollbringen / nach seinem Wollgefallen. Ist denn unsere Gerechtigkeit und Heiligkeit auch also beschaffen / daß sie vollkommen gut / oder ist sie nicht viel mehr sehr mangelhafft und sehr beschmutzt? Wir sind ja allesam̃t wie die Unreinen / und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid. Wer war heiliger als Jacob? und doch fand er an sich keine Würdigkeit / sondern hielt sich zu klein und zu gering. Wer war heiliger als David? und doch wuste Er von keiner selbst-Erhebung / sondern Er demüthigte sich und schrieb: Was ist der Mensch / daß du sein gedenckest / und des Menschen Kind / daß du dich sein annim̃st. Uber welche Worte ein alter
Phil. II. 13.
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Zitationshilfe: | Meyer, Franz Heinrich: Der in Erwegung göttlicher Wollthaten sich recht verhaltende Israeliter. Hildesheim, 1716, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_israeliter_1716/36>, abgerufen am 16.02.2025. |