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Meyer, Edmund: Alte Geschichte. Berlin, 1890 (= Leitfaden der Geschichte in Tabellenform, Bd. 1)

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Die Anschauung, dass die Gottheiten in gewissen, natürlichen oder künst-
lichen Gegenständen (Fetischen) verkörpert seien, heisst Fetischismus.1)

Eine besondere Art des Fetischismus ist der Totemismus, das heißt Tier-
religion, indem Tiere als Schutzgeister der Menschen gelten. Mit dieser Form
der Religion ist oft der Glaube an Seelenwanderung verbunden, das heißt die
Vorstellung, dass die Seele des Menschen nach dem Tode in Tiere übergehe,
in einer Wanderung, die nach dem Glauben einzelner Völker die Seele reinigt
und endlich zur Vollkommenheit führt. Mehrfach findet sich auch die An-
nahme, dass die Seele des Menschen vorher in einem Tiere existiert habe.

Weit verbreitet ist die Verehrung der Seelen der Verstorbenen als
schützender Götter: sogenannter Ahnen- oder Manenkult.

Vielfach wurden die eigentlichen Naturkräfte, wie Feuer, Wasser,
Luft, das heißt Himmel, Erde und so weiter verehrt; insonderheit gab das Gewitter,
d. h. Gewitterwolke mit Blitz und Donner, Anlass zu eigenen Vorstellungen
von den göttlichen Mächten. -- Mit dem Kult der Naturkräfte berührt sich
nahe der Dienst der Himmelskörper und der Sterndienst.

Werden die Gottheiten unter menschlicher Gestalt gedacht, wie zum Beispiel bei
Griechen und Römern, so wird dies als Anthropomorphismus bezeichnet.

Herrscht bei einem Volke die Vorstellung, dass die unsichtbaren Mächte
sich von einzelnen mit besonderer Macht begabten Menschen zur Folgsamkeit
zwingen liessen und dass die Vermittelung zwischen dem Menschen und der
Gottheit nur durch diese mit besonderen Ceremonien respektive Zauberkünsten
vertrauten Menschen und unter Innehaltung eines von diesen vorgeschriebenen
Rituals geschehen könne, so nennt man eine solche Religion Schama-
nismus
.2)

Die Polytheisten nennen wir Heiden (lateinisch pagani)3) ; doch ist nicht aus-
geschlossen, dass sich bei ihnen sehr reine, unseren christlichen nahe stehende
religiöse Vorstellungen entwickeln, zum Beispiel im Buddhismus, der freilich aus seiner
ursprünglichen Reinheit zum Teil in vollsten Schamanismus übergegangen ist.

§ 10.

Ebenso wenig wie der Religion entbehren die Völker, auch die uncivili-
siertesten nicht, eines gewissen staatlichen Verbandes, wie schon Aristoteles
richtig den Menschen als [fremdsprachliches Material], das heißt als ein mit dem Triebe zur
Staatenbildung begabtes Tier bezeichnet hat.

1. Die ersten staatlichen Verbände gehen aus der Familie hervor, wie
dies die Hirtenvölker am deutlichsten erkennen lassen. Bei ihnen entwickelt
sich, zumal unter dem Einflusse von Vielweiberei (Polygamie), ein schnell
wachsendes Gemeinwesen, in welchem alle Familienangehörige auch Unter-
thanen des Familienhauptes sind. Letzterer ist zugleich Fürst und Richter
der Gemeinde, die als Familie in einer gewissen Gütergemeinschaft lebt (Pa-
triarchalstaat
).4)
Durch Trennung einzelner Glieder von einer zu gross
gewordenen Gemeinde entstehen neue Gemeinden gleicher Art.

1) Vom portugisischen 'fetisso' = lateinisch facticius, sc. deus, der 'gemachte' Gott.
2) Aus dem Sanskrit: Schamane = Zauberer.
3) Das heißt eigentlich Leute, die auf dem Lande (pagus -- Gau) und auf Heiden wohnten.
4) So die Stämme, an deren Spitze die jüdischen Patriarchen Abraham, Isaak nnd Jakob standen.

Die Anschauung, daſs die Gottheiten in gewissen, natürlichen oder künst-
lichen Gegenständen (Fetischen) verkörpert seien, heiſst Fetischismus.1)

Eine besondere Art des Fetischismus ist der Totemismus, das heißt Tier-
religion, indem Tiere als Schutzgeister der Menschen gelten. Mit dieser Form
der Religion ist oft der Glaube an Seelenwanderung verbunden, das heißt die
Vorstellung, daſs die Seele des Menschen nach dem Tode in Tiere übergehe,
in einer Wanderung, die nach dem Glauben einzelner Völker die Seele reinigt
und endlich zur Vollkommenheit führt. Mehrfach findet sich auch die An-
nahme, daſs die Seele des Menschen vorher in einem Tiere existiert habe.

Weit verbreitet ist die Verehrung der Seelen der Verstorbenen als
schützender Götter: sogenannter Ahnen- oder Manenkult.

Vielfach wurden die eigentlichen Naturkräfte, wie Feuer, Wasser,
Luft, das heißt Himmel, Erde und so weiter verehrt; insonderheit gab das Gewitter,
d. h. Gewitterwolke mit Blitz und Donner, Anlaſs zu eigenen Vorstellungen
von den göttlichen Mächten. — Mit dem Kult der Naturkräfte berührt sich
nahe der Dienst der Himmelskörper und der Sterndienst.

Werden die Gottheiten unter menschlicher Gestalt gedacht, wie zum Beispiel bei
Griechen und Römern, so wird dies als Anthropomorphismus bezeichnet.

Herrscht bei einem Volke die Vorstellung, daſs die unsichtbaren Mächte
sich von einzelnen mit besonderer Macht begabten Menschen zur Folgsamkeit
zwingen lieſsen und daſs die Vermittelung zwischen dem Menschen und der
Gottheit nur durch diese mit besonderen Ceremonien respektive Zauberkünsten
vertrauten Menschen und unter Innehaltung eines von diesen vorgeschriebenen
Rituals geschehen könne, so nennt man eine solche Religion Schama-
nismus
.2)

Die Polytheisten nennen wir Heiden (lateinisch pagani)3) ; doch ist nicht aus-
geschlossen, daſs sich bei ihnen sehr reine, unseren christlichen nahe stehende
religiöse Vorstellungen entwickeln, zum Beispiel im Buddhismus, der freilich aus seiner
ursprünglichen Reinheit zum Teil in vollsten Schamanismus übergegangen ist.

§ 10.

Ebenso wenig wie der Religion entbehren die Völker, auch die uncivili-
siertesten nicht, eines gewissen staatlichen Verbandes, wie schon Aristoteles
richtig den Menschen als [fremdsprachliches Material], das heißt als ein mit dem Triebe zur
Staatenbildung begabtes Tier bezeichnet hat.

1. Die ersten staatlichen Verbände gehen aus der Familie hervor, wie
dies die Hirtenvölker am deutlichsten erkennen lassen. Bei ihnen entwickelt
sich, zumal unter dem Einflusse von Vielweiberei (Polygamie), ein schnell
wachsendes Gemeinwesen, in welchem alle Familienangehörige auch Unter-
thanen des Familienhauptes sind. Letzterer ist zugleich Fürst und Richter
der Gemeinde, die als Familie in einer gewissen Gütergemeinschaft lebt (Pa-
triarchalstaat
).4)
Durch Trennung einzelner Glieder von einer zu groſs
gewordenen Gemeinde entstehen neue Gemeinden gleicher Art.

1) Vom portugisischen ‘fetisso' = lateinisch facticius, sc. deus, der ‘gemachte’ Gott.
2) Aus dem Sanskrit: Schamane = Zauberer.
3) Das heißt eigentlich Leute, die auf dem Lande (pagus — Gau) und auf Heiden wohnten.
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[— 8 —/0018] Die Anschauung, daſs die Gottheiten in gewissen, natürlichen oder künst- lichen Gegenständen (Fetischen) verkörpert seien, heiſst Fetischismus. 1) Eine besondere Art des Fetischismus ist der Totemismus, d. h. Tier- religion, indem Tiere als Schutzgeister der Menschen gelten. Mit dieser Form der Religion ist oft der Glaube an Seelenwanderung verbunden, d. h. die Vorstellung, daſs die Seele des Menschen nach dem Tode in Tiere übergehe, in einer Wanderung, die nach dem Glauben einzelner Völker die Seele reinigt und endlich zur Vollkommenheit führt. Mehrfach findet sich auch die An- nahme, daſs die Seele des Menschen vorher in einem Tiere existiert habe. Weit verbreitet ist die Verehrung der Seelen der Verstorbenen als schützender Götter: sog. Ahnen- oder Manenkult. Vielfach wurden die eigentlichen Naturkräfte, wie Feuer, Wasser, Luft, d. h. Himmel, Erde u. s. w. verehrt; insonderheit gab das Gewitter, d. h. Gewitterwolke mit Blitz und Donner, Anlaſs zu eigenen Vorstellungen von den göttlichen Mächten. — Mit dem Kult der Naturkräfte berührt sich nahe der Dienst der Himmelskörper und der Sterndienst. Werden die Gottheiten unter menschlicher Gestalt gedacht, wie z. B. bei Griechen und Römern, so wird dies als Anthropomorphismus bezeichnet. Herrscht bei einem Volke die Vorstellung, daſs die unsichtbaren Mächte sich von einzelnen mit besonderer Macht begabten Menschen zur Folgsamkeit zwingen lieſsen und daſs die Vermittelung zwischen dem Menschen und der Gottheit nur durch diese mit besonderen Ceremonien resp. Zauberkünsten vertrauten Menschen und unter Innehaltung eines von diesen vorgeschriebenen Rituals geschehen könne, so nennt man eine solche Religion Schama- nismus. 2) Die Polytheisten nennen wir Heiden (lat. pagani) 3) ; doch ist nicht aus- geschlossen, daſs sich bei ihnen sehr reine, unseren christlichen nahe stehende religiöse Vorstellungen entwickeln, z. B. im Buddhismus, der freilich aus seiner ursprünglichen Reinheit z. t. in vollsten Schamanismus übergegangen ist. § 10. Ebenso wenig wie der Religion entbehren die Völker, auch die uncivili- siertesten nicht, eines gewissen staatlichen Verbandes, wie schon Aristoteles richtig den Menschen als _ , d. h. als ein mit dem Triebe zur Staatenbildung begabtes Tier bezeichnet hat. 1. Die ersten staatlichen Verbände gehen aus der Familie hervor, wie dies die Hirtenvölker am deutlichsten erkennen lassen. Bei ihnen entwickelt sich, zumal unter dem Einflusse von Vielweiberei (Polygamie), ein schnell wachsendes Gemeinwesen, in welchem alle Familienangehörige auch Unter- thanen des Familienhauptes sind. Letzterer ist zugleich Fürst und Richter der Gemeinde, die als Familie in einer gewissen Gütergemeinschaft lebt (Pa- triarchalstaat). 4) Durch Trennung einzelner Glieder von einer zu groſs gewordenen Gemeinde entstehen neue Gemeinden gleicher Art. 1) Vom portugies. ‘fetisso' = lat.facticius, sc. sc. deus, der ‘gemachte’ Gott. 2) Aus dem Sanskrit: Schamane = Zauberer. 3) D. h. eigentlich Leute, die auf dem Lande (pagus — Gau) und auf Heiden wohnten. 4) So die Stämme, an deren Spitze die jüdischen Patriarchen Abraham, Isaak nnd Jakob standen.

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Zitationshilfe: Meyer, Edmund: Alte Geschichte. Berlin, 1890 (= Leitfaden der Geschichte in Tabellenform, Bd. 1), S. — 8 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_geschichte_1890/18>, abgerufen am 24.11.2024.