Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Heute.
Das Heut ist einem jungen Weibe gleich.
Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich.
Es schaudert. Einen vollen Becher faßt
Es gierig noch und schlürft in toller Hast.
Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt,
Entfärbt sich und verwelkt. Der Becher sinkt.
Langsam zieht es den Kranz sich aus dem Haar.
Das Haar ergraut, das eben braun noch war.
Tiefrunzelt sich das schöne schuld'ge Haupt.
Zusammenbricht das Knie, der Kraft beraubt.
Die Horen kleiden dicht in Schleier ein
Und führen weg ein greises Mütterlein.

Das Heute.
Das Heut iſt einem jungen Weibe gleich.
Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich.
Es ſchaudert. Einen vollen Becher faßt
Es gierig noch und ſchlürft in toller Haſt.
Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt,
Entfärbt ſich und verwelkt. Der Becher ſinkt.
Langſam zieht es den Kranz ſich aus dem Haar.
Das Haar ergraut, das eben braun noch war.
Tiefrunzelt ſich das ſchöne ſchuld'ge Haupt.
Zuſammenbricht das Knie, der Kraft beraubt.
Die Horen kleiden dicht in Schleier ein
Und führen weg ein greiſes Mütterlein.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0082" n="68"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Das Heute.<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <l>Das Heut i&#x017F;t einem jungen Weibe gleich.</l><lb/>
            <l>Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich.</l><lb/>
            <l>Es &#x017F;chaudert. Einen vollen Becher faßt</l><lb/>
            <l>Es gierig noch und &#x017F;chlürft in toller Ha&#x017F;t.</l><lb/>
            <l>Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt,</l><lb/>
            <l>Entfärbt &#x017F;ich und verwelkt. Der Becher &#x017F;inkt.</l><lb/>
            <l>Lang&#x017F;am zieht es den Kranz &#x017F;ich aus dem Haar.</l><lb/>
            <l>Das Haar ergraut, das eben braun noch war.</l><lb/>
            <l>Tiefrunzelt &#x017F;ich das &#x017F;chöne &#x017F;chuld'ge Haupt.</l><lb/>
            <l>Zu&#x017F;ammenbricht das Knie, der Kraft beraubt.</l><lb/>
            <l>Die Horen kleiden dicht in Schleier ein</l><lb/>
            <l>Und führen weg ein grei&#x017F;es Mütterlein.</l><lb/>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0082] Das Heute. Das Heut iſt einem jungen Weibe gleich. Schlag Mitternacht wird ihm die Wange bleich. Es ſchaudert. Einen vollen Becher faßt Es gierig noch und ſchlürft in toller Haſt. Der üpp'ge Mund, indem er lechzt und trinkt, Entfärbt ſich und verwelkt. Der Becher ſinkt. Langſam zieht es den Kranz ſich aus dem Haar. Das Haar ergraut, das eben braun noch war. Tiefrunzelt ſich das ſchöne ſchuld'ge Haupt. Zuſammenbricht das Knie, der Kraft beraubt. Die Horen kleiden dicht in Schleier ein Und führen weg ein greiſes Mütterlein.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/82
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/82>, abgerufen am 18.11.2024.