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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Mourir ou parvenir!
Herr Heinrich Guise schrieb. Da rauscht' Gewand --
Es war sein Lieb, das aus der Kirche kam,
Sein zärtlich Lieb, der schäkernd aus der Hand
Er das mit Gold beschlagne Meßbuch nahm.
Er blättert' drin. Hell war's von Farbenglut
Und keck verschlungner Arabeskenzier --
"Geliebter, dich verdirbt dein Uebermuth!
Hinweg! Entflieh von hier!
Du bist zu hoch! Der König, feig und schlau,
Bebt wie ein Kind vor deinen mächt'gen Braun!
Dich haßt er tödtlich -- glaub es einer Frau!
Ihn sah ich lächeln jüngst -- mich schüttelt Graun!"
Zur Feder griff er. "Flora, schlanke Fei!
Wie könnt' ich leben," seufzt' er, "fern von dir?"
Und schrieb ins Meßbuch, wo die Zeile frei:
Mourir --
-- "Versuche Gott nicht! Das Verderben reift!
Hinweg aus Blois! Mein Alles, Schmerz und Lust!
Ich weiß: in diesem Augenblicke schleift
Der Meuchelmord ein Schwert für deine Brust!"
Der Herzog schrieb in ihrem Buche fort,
So viel ihm Raum gewährte das Papier,
Als wär' es ein erbaulich Bibelwort:
-- Ou parvenir!
C. F. Meyer, Gedichte. 21
Mourir ou parvenir!
Herr Heinrich Guiſe ſchrieb. Da rauſcht' Gewand —
Es war ſein Lieb, das aus der Kirche kam,
Sein zärtlich Lieb, der ſchäkernd aus der Hand
Er das mit Gold beſchlagne Meßbuch nahm.
Er blättert' drin. Hell war's von Farbenglut
Und keck verſchlungner Arabeskenzier —
„Geliebter, dich verdirbt dein Uebermuth!
Hinweg! Entflieh von hier!
Du biſt zu hoch! Der König, feig und ſchlau,
Bebt wie ein Kind vor deinen mächt'gen Braun!
Dich haßt er tödtlich — glaub es einer Frau!
Ihn ſah ich lächeln jüngſt — mich ſchüttelt Graun!“
Zur Feder griff er. „Flora, ſchlanke Fei!
Wie könnt' ich leben,“ ſeufzt' er, „fern von dir?“
Und ſchrieb ins Meßbuch, wo die Zeile frei:
Mourir —
— „Verſuche Gott nicht! Das Verderben reift!
Hinweg aus Blois! Mein Alles, Schmerz und Luſt!
Ich weiß: in dieſem Augenblicke ſchleift
Der Meuchelmord ein Schwert für deine Bruſt!“
Der Herzog ſchrieb in ihrem Buche fort,
So viel ihm Raum gewährte das Papier,
Als wär' es ein erbaulich Bibelwort:
— Ou parvenir!
C. F. Meyer, Gedichte. 21
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[321/0335] Mourir ou parvenir! Herr Heinrich Guiſe ſchrieb. Da rauſcht' Gewand — Es war ſein Lieb, das aus der Kirche kam, Sein zärtlich Lieb, der ſchäkernd aus der Hand Er das mit Gold beſchlagne Meßbuch nahm. Er blättert' drin. Hell war's von Farbenglut Und keck verſchlungner Arabeskenzier — „Geliebter, dich verdirbt dein Uebermuth! Hinweg! Entflieh von hier! Du biſt zu hoch! Der König, feig und ſchlau, Bebt wie ein Kind vor deinen mächt'gen Braun! Dich haßt er tödtlich — glaub es einer Frau! Ihn ſah ich lächeln jüngſt — mich ſchüttelt Graun!“ Zur Feder griff er. „Flora, ſchlanke Fei! Wie könnt' ich leben,“ ſeufzt' er, „fern von dir?“ Und ſchrieb ins Meßbuch, wo die Zeile frei: Mourir — — „Verſuche Gott nicht! Das Verderben reift! Hinweg aus Blois! Mein Alles, Schmerz und Luſt! Ich weiß: in dieſem Augenblicke ſchleift Der Meuchelmord ein Schwert für deine Bruſt!“ Der Herzog ſchrieb in ihrem Buche fort, So viel ihm Raum gewährte das Papier, Als wär' es ein erbaulich Bibelwort: — Ou parvenir! C. F. Meyer, Gedichte. 21

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/335>, abgerufen am 22.12.2024.