Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Ueber einem Grabe.
Blüthen schweben über deinem Grabe.
Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe,
Den wir Alle liebten, die dich kannten,
Dessen Augen wie zwei Sonnen brannten,
Dessen Blicke Seelen unterjochten,
Dessen Pulse stark und feurig pochten,
Dessen Worte schon die Herzen lenkten,
Den wir weinend gestern hier versenkten.
Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen ...
Dort! ich seh' es aus der Erde steigen!
Unterm Rasen quillt hervor es leise,
Flatterflammen drehen sich im Kreise,
Ungelebtes Leben zuckt und lodert
Aus der Körperkraft, die hier vermodert,
Abgemähter Jugend letztes Walten,
Letzte Glut verraucht in Wunschgestalten,
Eine blasse Jagd:
Voran ein Zecher,
In der Faust den überfüllten Becher!
Weh'nde Locken will der Buhle fassen,
Die entflatternd nicht sich haschen lassen,
Lustgestachelt rast er hinter jenen,
Ueber einem Grabe.
Blüthen ſchweben über deinem Grabe.
Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe,
Den wir Alle liebten, die dich kannten,
Deſſen Augen wie zwei Sonnen brannten,
Deſſen Blicke Seelen unterjochten,
Deſſen Pulſe ſtark und feurig pochten,
Deſſen Worte ſchon die Herzen lenkten,
Den wir weinend geſtern hier verſenkten.
Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen ...
Dort! ich ſeh' es aus der Erde ſteigen!
Unterm Raſen quillt hervor es leiſe,
Flatterflammen drehen ſich im Kreiſe,
Ungelebtes Leben zuckt und lodert
Aus der Körperkraft, die hier vermodert,
Abgemähter Jugend letztes Walten,
Letzte Glut verraucht in Wunſchgeſtalten,
Eine blaſſe Jagd:
Voran ein Zecher,
In der Fauſt den überfüllten Becher!
Weh'nde Locken will der Buhle faſſen,
Die entflatternd nicht ſich haſchen laſſen,
Luſtgeſtachelt raſt er hinter jenen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0025" n="11"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Ueber einem Grabe.<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Blüthen &#x017F;chweben über deinem Grabe.</l><lb/>
              <l>Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe,</l><lb/>
              <l>Den wir Alle liebten, die dich kannten,</l><lb/>
              <l>De&#x017F;&#x017F;en Augen wie zwei Sonnen brannten,</l><lb/>
              <l>De&#x017F;&#x017F;en Blicke Seelen unterjochten,</l><lb/>
              <l>De&#x017F;&#x017F;en Pul&#x017F;e &#x017F;tark und feurig pochten,</l><lb/>
              <l>De&#x017F;&#x017F;en Worte &#x017F;chon die Herzen lenkten,</l><lb/>
              <l>Den wir weinend ge&#x017F;tern hier ver&#x017F;enkten.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen ...</l><lb/>
              <l>Dort! ich &#x017F;eh' es aus der Erde &#x017F;teigen!</l><lb/>
              <l>Unterm Ra&#x017F;en quillt hervor es lei&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Flatterflammen drehen &#x017F;ich im Krei&#x017F;e,</l><lb/>
              <l>Ungelebtes Leben zuckt und lodert</l><lb/>
              <l>Aus der Körperkraft, die hier vermodert,</l><lb/>
              <l>Abgemähter Jugend letztes Walten,</l><lb/>
              <l>Letzte Glut verraucht in Wun&#x017F;chge&#x017F;talten,</l><lb/>
              <l>Eine bla&#x017F;&#x017F;e Jagd:</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Voran ein Zecher,</l><lb/>
              <l>In der Fau&#x017F;t den überfüllten Becher!</l><lb/>
              <l>Weh'nde Locken will der Buhle fa&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Die entflatternd nicht &#x017F;ich ha&#x017F;chen la&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Lu&#x017F;tge&#x017F;tachelt ra&#x017F;t er hinter jenen,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0025] Ueber einem Grabe. Blüthen ſchweben über deinem Grabe. Schnell umarmte dich der Tod, o Knabe, Den wir Alle liebten, die dich kannten, Deſſen Augen wie zwei Sonnen brannten, Deſſen Blicke Seelen unterjochten, Deſſen Pulſe ſtark und feurig pochten, Deſſen Worte ſchon die Herzen lenkten, Den wir weinend geſtern hier verſenkten. Maiennacht. Der Sterne mildes Schweigen ... Dort! ich ſeh' es aus der Erde ſteigen! Unterm Raſen quillt hervor es leiſe, Flatterflammen drehen ſich im Kreiſe, Ungelebtes Leben zuckt und lodert Aus der Körperkraft, die hier vermodert, Abgemähter Jugend letztes Walten, Letzte Glut verraucht in Wunſchgeſtalten, Eine blaſſe Jagd: Voran ein Zecher, In der Fauſt den überfüllten Becher! Weh'nde Locken will der Buhle faſſen, Die entflatternd nicht ſich haſchen laſſen, Luſtgeſtachelt raſt er hinter jenen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/25
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/25>, abgerufen am 18.11.2024.