Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kamerad.
Mit dem Tode schloß ich Kameradschaft.
Ueber einem vollen Humpen saßen
Oft wir nächtens und philosophirten.
Auch zusammen gingen wir spaziren,
Lauschten mit elegischen Gefühlen
Nach dem Pilgerruf der Abendglocke.
Aber männlich auch an meiner Seite
Stand der Kamerad und secundirte,
Oder wann ich im Gebirg verirrt war,
Hangend über schwindelnd tiefem Abgrund,
Sprach er: Blick mir in das Auge ruhig
Und ich that es und ich war gerettet --
Lange standen wir auf gutem Fuße,
Bis mich volles Leben überströmte
Glühend warm mit unbekannter Fülle,
Und mir schauderte vor meinem Freunde ...
Als das Liebchen heute mir am Hals hing,
Ueber seine Schulter weg erblickt' ich
Meines Kameraden leichten Umriß
Auf dem Abendhimmel und er grollte:
"Bin ich dir verleidet? Deine feigen
Lippen meiden meinen schlichten Namen?
Ist das hübsch von einem Kameraden?"
In demselben Augenblick umarmte
Liebchen mich und rief: "So möcht' ich sterben!
Der Kamerad.
Mit dem Tode ſchloß ich Kameradſchaft.
Ueber einem vollen Humpen ſaßen
Oft wir nächtens und philoſophirten.
Auch zuſammen gingen wir ſpaziren,
Lauſchten mit elegiſchen Gefühlen
Nach dem Pilgerruf der Abendglocke.
Aber männlich auch an meiner Seite
Stand der Kamerad und ſecundirte,
Oder wann ich im Gebirg verirrt war,
Hangend über ſchwindelnd tiefem Abgrund,
Sprach er: Blick mir in das Auge ruhig
Und ich that es und ich war gerettet —
Lange ſtanden wir auf gutem Fuße,
Bis mich volles Leben überſtrömte
Glühend warm mit unbekannter Fülle,
Und mir ſchauderte vor meinem Freunde ...
Als das Liebchen heute mir am Hals hing,
Ueber ſeine Schulter weg erblickt' ich
Meines Kameraden leichten Umriß
Auf dem Abendhimmel und er grollte:
„Bin ich dir verleidet? Deine feigen
Lippen meiden meinen ſchlichten Namen?
Iſt das hübſch von einem Kameraden?“
In demſelben Augenblick umarmte
Liebchen mich und rief: „So möcht' ich ſterben!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0172" n="158"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der Kamerad.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <l>Mit dem Tode &#x017F;chloß ich Kamerad&#x017F;chaft.</l><lb/>
            <l>Ueber einem vollen Humpen &#x017F;aßen</l><lb/>
            <l>Oft wir nächtens und philo&#x017F;ophirten.</l><lb/>
            <l>Auch zu&#x017F;ammen gingen wir &#x017F;paziren,</l><lb/>
            <l>Lau&#x017F;chten mit elegi&#x017F;chen Gefühlen</l><lb/>
            <l>Nach dem Pilgerruf der Abendglocke.</l><lb/>
            <l>Aber männlich auch an meiner Seite</l><lb/>
            <l>Stand der Kamerad und &#x017F;ecundirte,</l><lb/>
            <l>Oder wann ich im Gebirg verirrt war,</l><lb/>
            <l>Hangend über &#x017F;chwindelnd tiefem Abgrund,</l><lb/>
            <l>Sprach er: Blick mir in das Auge ruhig</l><lb/>
            <l>Und ich that es und ich war gerettet &#x2014;</l><lb/>
            <l>Lange &#x017F;tanden wir auf gutem Fuße,</l><lb/>
            <l>Bis mich volles Leben über&#x017F;trömte</l><lb/>
            <l>Glühend warm mit unbekannter Fülle,</l><lb/>
            <l>Und mir &#x017F;chauderte vor meinem Freunde ...</l><lb/>
            <l>Als das Liebchen heute mir am Hals hing,</l><lb/>
            <l>Ueber &#x017F;eine Schulter weg erblickt' ich</l><lb/>
            <l>Meines Kameraden leichten Umriß</l><lb/>
            <l>Auf dem Abendhimmel und er grollte:</l><lb/>
            <l>&#x201E;Bin ich dir verleidet? Deine feigen</l><lb/>
            <l>Lippen meiden meinen &#x017F;chlichten Namen?</l><lb/>
            <l>I&#x017F;t das hüb&#x017F;ch von einem Kameraden?&#x201C;</l><lb/>
            <l>In dem&#x017F;elben Augenblick umarmte</l><lb/>
            <l>Liebchen mich und rief: &#x201E;So möcht' ich &#x017F;terben!</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0172] Der Kamerad. Mit dem Tode ſchloß ich Kameradſchaft. Ueber einem vollen Humpen ſaßen Oft wir nächtens und philoſophirten. Auch zuſammen gingen wir ſpaziren, Lauſchten mit elegiſchen Gefühlen Nach dem Pilgerruf der Abendglocke. Aber männlich auch an meiner Seite Stand der Kamerad und ſecundirte, Oder wann ich im Gebirg verirrt war, Hangend über ſchwindelnd tiefem Abgrund, Sprach er: Blick mir in das Auge ruhig Und ich that es und ich war gerettet — Lange ſtanden wir auf gutem Fuße, Bis mich volles Leben überſtrömte Glühend warm mit unbekannter Fülle, Und mir ſchauderte vor meinem Freunde ... Als das Liebchen heute mir am Hals hing, Ueber ſeine Schulter weg erblickt' ich Meines Kameraden leichten Umriß Auf dem Abendhimmel und er grollte: „Bin ich dir verleidet? Deine feigen Lippen meiden meinen ſchlichten Namen? Iſt das hübſch von einem Kameraden?“ In demſelben Augenblick umarmte Liebchen mich und rief: „So möcht' ich ſterben!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/172
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/172>, abgerufen am 18.11.2024.