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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Die Rehe.
Fern von dem fürstlichen keuschen Gemahl
Jubelt ein blühender Jüngling im Saal:
"Hebet die Becher und ruft daß es schallt:
Freiheit, sie lebe! Die Freiheit im Wald!"
All die Genossen der weidlichen Lust
Bringen das Hoch aus erglühender Brust:
"Lebe die Jugend und Bacchus' Gewalt!
Freiheit, sie lebe! Die Freiheit im Wald!"
Schmetternde Hörner! Dann flüstern sie sacht,
Scherzen und locken die Elfen der Nacht
Aus ihren Waldesverstecken hervor --
Aengstliche Schläge bestürmen das Thor.
"Setz dich ans Feuer, du herziges Kind!"
Lärmt im erleuchteten Hof das Gesind.
"Fürstlich bewirthen mit Kuchen dich wir!
Drinnen was suchst du? Bescheide dich hier!"
Rasch in den Saal, in den fürstlichen, tritt
Eine Gescheuchte mit hastigem Schritt,
Ueber den Busen, vom Laufe bewegt,
Kreuzweis die flehenden Arme gelegt --
Blätter am Röcklein, herbströthlich und falb!
Krausdunkle Haare, noch flattern sie halb,
Süßbraune Augen und schmerzlich dabei,
Blutende Füße -- nicht die einer Fei!
Die Rehe.
Fern von dem fürſtlichen keuſchen Gemahl
Jubelt ein blühender Jüngling im Saal:
„Hebet die Becher und ruft daß es ſchallt:
Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“
All die Genoſſen der weidlichen Luſt
Bringen das Hoch aus erglühender Bruſt:
„Lebe die Jugend und Bacchus' Gewalt!
Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“
Schmetternde Hörner! Dann flüſtern ſie ſacht,
Scherzen und locken die Elfen der Nacht
Aus ihren Waldesverſtecken hervor —
Aengſtliche Schläge beſtürmen das Thor.
„Setz dich ans Feuer, du herziges Kind!“
Lärmt im erleuchteten Hof das Geſind.
„Fürſtlich bewirthen mit Kuchen dich wir!
Drinnen was ſuchſt du? Beſcheide dich hier!“
Raſch in den Saal, in den fürſtlichen, tritt
Eine Geſcheuchte mit haſtigem Schritt,
Ueber den Buſen, vom Laufe bewegt,
Kreuzweis die flehenden Arme gelegt —
Blätter am Röcklein, herbſtröthlich und falb!
Krausdunkle Haare, noch flattern ſie halb,
Süßbraune Augen und ſchmerzlich dabei,
Blutende Füße — nicht die einer Fei!
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[105/0119] Die Rehe. Fern von dem fürſtlichen keuſchen Gemahl Jubelt ein blühender Jüngling im Saal: „Hebet die Becher und ruft daß es ſchallt: Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“ All die Genoſſen der weidlichen Luſt Bringen das Hoch aus erglühender Bruſt: „Lebe die Jugend und Bacchus' Gewalt! Freiheit, ſie lebe! Die Freiheit im Wald!“ Schmetternde Hörner! Dann flüſtern ſie ſacht, Scherzen und locken die Elfen der Nacht Aus ihren Waldesverſtecken hervor — Aengſtliche Schläge beſtürmen das Thor. „Setz dich ans Feuer, du herziges Kind!“ Lärmt im erleuchteten Hof das Geſind. „Fürſtlich bewirthen mit Kuchen dich wir! Drinnen was ſuchſt du? Beſcheide dich hier!“ Raſch in den Saal, in den fürſtlichen, tritt Eine Geſcheuchte mit haſtigem Schritt, Ueber den Buſen, vom Laufe bewegt, Kreuzweis die flehenden Arme gelegt — Blätter am Röcklein, herbſtröthlich und falb! Krausdunkle Haare, noch flattern ſie halb, Süßbraune Augen und ſchmerzlich dabei, Blutende Füße — nicht die einer Fei!

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/119>, abgerufen am 22.12.2024.