Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

stände entwickelte, war ein solid angelegtes Kapital,
das der Poesie die fruchtbarsten Zinsen abgetragen.
Alle seine Schriften athmen den Geist griechischer
Klarheit. Er arbeitete seine Gedanken mit der Rein¬
heit aus, wie der Grieche seinen Marmor. Sein
Styl ist ganz plastisch, ohne Fehl, streng und doch
fließend, fest und doch leicht, gleich dem der besten
Classiker. Schon der Form nach sind seine Schriften,
was sie auch enthalten, musterhafte Vorbilder. Selbst
seine vielen Schriften über unbedeutende und ganz
unpoetische Gegenstände zeichnen sich durch diese Klar¬
heit und Schönheit der Form aus. Wenn man Klop¬
stock immer nur im Ganzen auffassen muß, weil eine
Betrachtung seiner Schriften im Einzelnen uns nur
ermüdet, so muß man Lessing dagegen immer in der
Nähe betrachten. Oft läßt uns seine sophistische Un¬
tersuchung nur einen schwachen Eindruck zurück, aber
während des Lesens sind wir durch die geistreiche,
klare, feine Darstellung entzückt. So deutlich Les¬
sing's Styl das Studium der alten Classiker verräth,
so ist er doch ganz deutsch. Jeder Deutsche kann so
denken, so reden. Er hat nur den Geist der Grie¬
chen sich angeeignet, nicht sklavisch nur den Buchsta¬
ben, wie Voß. Dieser Styl Lessing's hat ungemein
vortheilhaft auf die deutsche Literatur gewirkt. Vor
ihm erlaubten sich die Schriftsteller, besonders die
Dichter, die durch Gewohnheit gleichsam geheiligte
Weitläuftigkeit und Dunkelheit ohne Scheu. Der
Schwulst, die Unklarheit und Nachlässigkeit herrschten

ſtaͤnde entwickelte, war ein ſolid angelegtes Kapital,
das der Poeſie die fruchtbarſten Zinſen abgetragen.
Alle ſeine Schriften athmen den Geiſt griechiſcher
Klarheit. Er arbeitete ſeine Gedanken mit der Rein¬
heit aus, wie der Grieche ſeinen Marmor. Sein
Styl iſt ganz plaſtiſch, ohne Fehl, ſtreng und doch
fließend, feſt und doch leicht, gleich dem der beſten
Claſſiker. Schon der Form nach ſind ſeine Schriften,
was ſie auch enthalten, muſterhafte Vorbilder. Selbſt
ſeine vielen Schriften uͤber unbedeutende und ganz
unpoetiſche Gegenſtaͤnde zeichnen ſich durch dieſe Klar¬
heit und Schoͤnheit der Form aus. Wenn man Klop¬
ſtock immer nur im Ganzen auffaſſen muß, weil eine
Betrachtung ſeiner Schriften im Einzelnen uns nur
ermuͤdet, ſo muß man Leſſing dagegen immer in der
Naͤhe betrachten. Oft laͤßt uns ſeine ſophiſtiſche Un¬
terſuchung nur einen ſchwachen Eindruck zuruͤck, aber
waͤhrend des Leſens ſind wir durch die geiſtreiche,
klare, feine Darſtellung entzuͤckt. So deutlich Leſ¬
ſing's Styl das Studium der alten Claſſiker verraͤth,
ſo iſt er doch ganz deutſch. Jeder Deutſche kann ſo
denken, ſo reden. Er hat nur den Geiſt der Grie¬
chen ſich angeeignet, nicht ſklaviſch nur den Buchſta¬
ben, wie Voß. Dieſer Styl Leſſing's hat ungemein
vortheilhaft auf die deutſche Literatur gewirkt. Vor
ihm erlaubten ſich die Schriftſteller, beſonders die
Dichter, die durch Gewohnheit gleichſam geheiligte
Weitlaͤuftigkeit und Dunkelheit ohne Scheu. Der
Schwulſt, die Unklarheit und Nachlaͤſſigkeit herrſchten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="85"/>
&#x017F;ta&#x0364;nde entwickelte, war ein &#x017F;olid angelegtes Kapital,<lb/>
das der Poe&#x017F;ie die fruchtbar&#x017F;ten Zin&#x017F;en abgetragen.<lb/>
Alle &#x017F;eine Schriften athmen den Gei&#x017F;t griechi&#x017F;cher<lb/>
Klarheit. Er arbeitete &#x017F;eine Gedanken mit der Rein¬<lb/>
heit aus, wie der Grieche &#x017F;einen Marmor. Sein<lb/>
Styl i&#x017F;t ganz pla&#x017F;ti&#x017F;ch, ohne Fehl, &#x017F;treng und doch<lb/>
fließend, fe&#x017F;t und doch leicht, gleich dem der be&#x017F;ten<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;iker. Schon der Form nach &#x017F;ind &#x017F;eine Schriften,<lb/>
was &#x017F;ie auch enthalten, mu&#x017F;terhafte Vorbilder. Selb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;eine vielen Schriften u&#x0364;ber unbedeutende und ganz<lb/>
unpoeti&#x017F;che Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zeichnen &#x017F;ich durch die&#x017F;e Klar¬<lb/>
heit und Scho&#x0364;nheit der Form aus. Wenn man Klop¬<lb/>
&#x017F;tock immer nur im Ganzen auffa&#x017F;&#x017F;en muß, weil eine<lb/>
Betrachtung &#x017F;einer Schriften im Einzelnen uns nur<lb/>
ermu&#x0364;det, &#x017F;o muß man Le&#x017F;&#x017F;ing dagegen immer in der<lb/>
Na&#x0364;he betrachten. Oft la&#x0364;ßt uns &#x017F;eine &#x017F;ophi&#x017F;ti&#x017F;che Un¬<lb/>
ter&#x017F;uchung nur einen &#x017F;chwachen Eindruck zuru&#x0364;ck, aber<lb/>
wa&#x0364;hrend des Le&#x017F;ens &#x017F;ind wir durch die gei&#x017F;treiche,<lb/>
klare, feine Dar&#x017F;tellung entzu&#x0364;ckt. So deutlich Le&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ing's Styl das Studium der alten Cla&#x017F;&#x017F;iker verra&#x0364;th,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t er doch ganz deut&#x017F;ch. Jeder Deut&#x017F;che kann &#x017F;o<lb/>
denken, &#x017F;o reden. Er hat nur den Gei&#x017F;t der Grie¬<lb/>
chen &#x017F;ich angeeignet, nicht &#x017F;klavi&#x017F;ch nur den Buch&#x017F;ta¬<lb/>
ben, wie Voß. Die&#x017F;er Styl Le&#x017F;&#x017F;ing's hat ungemein<lb/>
vortheilhaft auf die deut&#x017F;che Literatur gewirkt. Vor<lb/>
ihm erlaubten &#x017F;ich die Schrift&#x017F;teller, be&#x017F;onders die<lb/>
Dichter, die durch Gewohnheit gleich&#x017F;am geheiligte<lb/>
Weitla&#x0364;uftigkeit und Dunkelheit ohne Scheu. Der<lb/>
Schwul&#x017F;t, die Unklarheit und Nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit herr&#x017F;chten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0095] ſtaͤnde entwickelte, war ein ſolid angelegtes Kapital, das der Poeſie die fruchtbarſten Zinſen abgetragen. Alle ſeine Schriften athmen den Geiſt griechiſcher Klarheit. Er arbeitete ſeine Gedanken mit der Rein¬ heit aus, wie der Grieche ſeinen Marmor. Sein Styl iſt ganz plaſtiſch, ohne Fehl, ſtreng und doch fließend, feſt und doch leicht, gleich dem der beſten Claſſiker. Schon der Form nach ſind ſeine Schriften, was ſie auch enthalten, muſterhafte Vorbilder. Selbſt ſeine vielen Schriften uͤber unbedeutende und ganz unpoetiſche Gegenſtaͤnde zeichnen ſich durch dieſe Klar¬ heit und Schoͤnheit der Form aus. Wenn man Klop¬ ſtock immer nur im Ganzen auffaſſen muß, weil eine Betrachtung ſeiner Schriften im Einzelnen uns nur ermuͤdet, ſo muß man Leſſing dagegen immer in der Naͤhe betrachten. Oft laͤßt uns ſeine ſophiſtiſche Un¬ terſuchung nur einen ſchwachen Eindruck zuruͤck, aber waͤhrend des Leſens ſind wir durch die geiſtreiche, klare, feine Darſtellung entzuͤckt. So deutlich Leſ¬ ſing's Styl das Studium der alten Claſſiker verraͤth, ſo iſt er doch ganz deutſch. Jeder Deutſche kann ſo denken, ſo reden. Er hat nur den Geiſt der Grie¬ chen ſich angeeignet, nicht ſklaviſch nur den Buchſta¬ ben, wie Voß. Dieſer Styl Leſſing's hat ungemein vortheilhaft auf die deutſche Literatur gewirkt. Vor ihm erlaubten ſich die Schriftſteller, beſonders die Dichter, die durch Gewohnheit gleichſam geheiligte Weitlaͤuftigkeit und Dunkelheit ohne Scheu. Der Schwulſt, die Unklarheit und Nachlaͤſſigkeit herrſchten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/95
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/95>, abgerufen am 27.11.2024.