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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Sylbe der griechischen anpassen. Er verwechselte sein
besonderes Talent und die daraus herfließende Vor¬
liebe für diese philologischen Sylbenstechereien mit ei¬
ner allgemeinen Fähigkeit und mit einem allgemeinen
Bedürfniß der deutschen Sprache und Poesie, wie
wenn ein Seiltänzer verlangen wollte, daß alles auf
dem Seile tanzen solle. Das nächste Mittel, die
deutsche Sprache am Spalier der griechischen aufzu¬
ziehen, waren natürlicherweise Übersetzungen. Hier
wurde die deutsche Sprache der griechischen so nahe
gebracht, daß sie allen Bewegungen derselben folgen
mußte, wie ein wilder Elephant, den man an einen
zahmen koppelt. Voß hat den Ruhm des treusten
Übersetzers, aber nur, sofern von der Materie der
Sprache und den mechanischen Gesetzen die Rede ist;
Geist und Seele sind ihm immer unter seinen groben
Fingern verschwunden. Er hat in seinen Übersetzun¬
gen den eigenthümlichen Charakter und die natürliche
Grazie der deutschen Sprache ausgetrieben, und der
liebenswürdigen Gefangnen eine Zwangsjacke ange¬
zogen, in der sie nur noch steife und unnatürliche,
krampfhafte Bewegungen machen konnte. Sein wah¬
res Verdienst besteht darin, daß er eine große Menge
guter, aber veralteter oder nur im Volke üblicher
Wörter in die moderne Schriftsprache einführte. Er
war dazu gezwungen, weil er eine große Auswahl
von Wörtern haben mußte, um das vorgeschriebne
griechische Zeitmaaß immer aufs genauste auszufüllen.
Doch diese Wörtermenge war ein caput mortuum,

Sylbe der griechiſchen anpaſſen. Er verwechſelte ſein
beſonderes Talent und die daraus herfließende Vor¬
liebe fuͤr dieſe philologiſchen Sylbenſtechereien mit ei¬
ner allgemeinen Faͤhigkeit und mit einem allgemeinen
Beduͤrfniß der deutſchen Sprache und Poeſie, wie
wenn ein Seiltaͤnzer verlangen wollte, daß alles auf
dem Seile tanzen ſolle. Das naͤchſte Mittel, die
deutſche Sprache am Spalier der griechiſchen aufzu¬
ziehen, waren natuͤrlicherweiſe Überſetzungen. Hier
wurde die deutſche Sprache der griechiſchen ſo nahe
gebracht, daß ſie allen Bewegungen derſelben folgen
mußte, wie ein wilder Elephant, den man an einen
zahmen koppelt. Voß hat den Ruhm des treuſten
Überſetzers, aber nur, ſofern von der Materie der
Sprache und den mechaniſchen Geſetzen die Rede iſt;
Geiſt und Seele ſind ihm immer unter ſeinen groben
Fingern verſchwunden. Er hat in ſeinen Überſetzun¬
gen den eigenthuͤmlichen Charakter und die natuͤrliche
Grazie der deutſchen Sprache ausgetrieben, und der
liebenswuͤrdigen Gefangnen eine Zwangsjacke ange¬
zogen, in der ſie nur noch ſteife und unnatuͤrliche,
krampfhafte Bewegungen machen konnte. Sein wah¬
res Verdienſt beſteht darin, daß er eine große Menge
guter, aber veralteter oder nur im Volke uͤblicher
Woͤrter in die moderne Schriftſprache einfuͤhrte. Er
war dazu gezwungen, weil er eine große Auswahl
von Woͤrtern haben mußte, um das vorgeſchriebne
griechiſche Zeitmaaß immer aufs genauſte auszufuͤllen.
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[80/0090] Sylbe der griechiſchen anpaſſen. Er verwechſelte ſein beſonderes Talent und die daraus herfließende Vor¬ liebe fuͤr dieſe philologiſchen Sylbenſtechereien mit ei¬ ner allgemeinen Faͤhigkeit und mit einem allgemeinen Beduͤrfniß der deutſchen Sprache und Poeſie, wie wenn ein Seiltaͤnzer verlangen wollte, daß alles auf dem Seile tanzen ſolle. Das naͤchſte Mittel, die deutſche Sprache am Spalier der griechiſchen aufzu¬ ziehen, waren natuͤrlicherweiſe Überſetzungen. Hier wurde die deutſche Sprache der griechiſchen ſo nahe gebracht, daß ſie allen Bewegungen derſelben folgen mußte, wie ein wilder Elephant, den man an einen zahmen koppelt. Voß hat den Ruhm des treuſten Überſetzers, aber nur, ſofern von der Materie der Sprache und den mechaniſchen Geſetzen die Rede iſt; Geiſt und Seele ſind ihm immer unter ſeinen groben Fingern verſchwunden. Er hat in ſeinen Überſetzun¬ gen den eigenthuͤmlichen Charakter und die natuͤrliche Grazie der deutſchen Sprache ausgetrieben, und der liebenswuͤrdigen Gefangnen eine Zwangsjacke ange¬ zogen, in der ſie nur noch ſteife und unnatuͤrliche, krampfhafte Bewegungen machen konnte. Sein wah¬ res Verdienſt beſteht darin, daß er eine große Menge guter, aber veralteter oder nur im Volke uͤblicher Woͤrter in die moderne Schriftſprache einfuͤhrte. Er war dazu gezwungen, weil er eine große Auswahl von Woͤrtern haben mußte, um das vorgeſchriebne griechiſche Zeitmaaß immer aufs genauſte auszufuͤllen. Doch dieſe Woͤrtermenge war ein caput mortuum,

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/90>, abgerufen am 28.11.2024.