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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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herabgekommen, geistlos und unnatürlich, daß sie nicht
im Stande war, in den Geist jenes Alterthums ein¬
zudringen. Dies war einer spätern Zeit vorbehalten.
Anfangs diente diese neue Poesie auch nur der Schmei¬
chelei und den Lustbarkeiten an den Höfen. Da die
christlichen Heiligen schicklicherweise nicht benutzt wer¬
den konnten, den Triumph der weltlichen Macht zu
verherrlichen, so mußten wenigstens die heidnischen
Götter sich dazu brauchen lassen. Die Hofpoeten leg¬
ten zuerst in Frankreich dem vergötterten Fürsten eine
glänzende Camerilla von griechischen Göttern und Halb¬
göttern zu, deren einziges Geschäft darin bestand, in
allegorischen Darstellungen die göttlichen Eigenschaf¬
ten Ludwigs XIV. zu bezeichnen. In zahllosen Bil¬
dern und Gedichten erschien der Fürst von einem Göt¬
tergefolge begleitet, an welches die Erzämter vertheilt
waren. Minerva trug ihm das Scepter vor, Mars
das Schwert, Victoria bekrönte seine Schläfe, Hebe
verwaltete das Schenkenamt, das des Truchseß Ceres,
und Venus war der Stallmeister. Auch in Deutsch¬
land wurde diese allegorisirende Hofpoesie eingeführt
und man ärgerte selbst noch Friedrich den Großen
damit. Hoffmanswaldau war der Coryphäe dieser
Schule, später Ramler, nnd selbst Wieland war
noch darin wie bezaubert, obgleich er ihren sentimen¬
talen Ernst in Ironie verkehrte.

In dieser Schule war alles unwillkürliche Karri¬
katur. Nichts konnte so unnatürlich und komisch seyn,
als die Vermählung der antiken Plastik mit der Zeit

herabgekommen, geiſtlos und unnatuͤrlich, daß ſie nicht
im Stande war, in den Geiſt jenes Alterthums ein¬
zudringen. Dies war einer ſpaͤtern Zeit vorbehalten.
Anfangs diente dieſe neue Poeſie auch nur der Schmei¬
chelei und den Luſtbarkeiten an den Hoͤfen. Da die
chriſtlichen Heiligen ſchicklicherweiſe nicht benutzt wer¬
den konnten, den Triumph der weltlichen Macht zu
verherrlichen, ſo mußten wenigſtens die heidniſchen
Goͤtter ſich dazu brauchen laſſen. Die Hofpoeten leg¬
ten zuerſt in Frankreich dem vergoͤtterten Fuͤrſten eine
glaͤnzende Camerilla von griechiſchen Goͤttern und Halb¬
goͤttern zu, deren einziges Geſchaͤft darin beſtand, in
allegoriſchen Darſtellungen die goͤttlichen Eigenſchaf¬
ten Ludwigs XIV. zu bezeichnen. In zahlloſen Bil¬
dern und Gedichten erſchien der Fuͤrſt von einem Goͤt¬
tergefolge begleitet, an welches die Erzaͤmter vertheilt
waren. Minerva trug ihm das Scepter vor, Mars
das Schwert, Victoria bekroͤnte ſeine Schlaͤfe, Hebe
verwaltete das Schenkenamt, das des Truchſeß Ceres,
und Venus war der Stallmeiſter. Auch in Deutſch¬
land wurde dieſe allegoriſirende Hofpoeſie eingefuͤhrt
und man aͤrgerte ſelbſt noch Friedrich den Großen
damit. Hoffmanswaldau war der Coryphaͤe dieſer
Schule, ſpaͤter Ramler, nnd ſelbſt Wieland war
noch darin wie bezaubert, obgleich er ihren ſentimen¬
talen Ernſt in Ironie verkehrte.

In dieſer Schule war alles unwillkuͤrliche Karri¬
katur. Nichts konnte ſo unnatuͤrlich und komiſch ſeyn,
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[74/0084] herabgekommen, geiſtlos und unnatuͤrlich, daß ſie nicht im Stande war, in den Geiſt jenes Alterthums ein¬ zudringen. Dies war einer ſpaͤtern Zeit vorbehalten. Anfangs diente dieſe neue Poeſie auch nur der Schmei¬ chelei und den Luſtbarkeiten an den Hoͤfen. Da die chriſtlichen Heiligen ſchicklicherweiſe nicht benutzt wer¬ den konnten, den Triumph der weltlichen Macht zu verherrlichen, ſo mußten wenigſtens die heidniſchen Goͤtter ſich dazu brauchen laſſen. Die Hofpoeten leg¬ ten zuerſt in Frankreich dem vergoͤtterten Fuͤrſten eine glaͤnzende Camerilla von griechiſchen Goͤttern und Halb¬ goͤttern zu, deren einziges Geſchaͤft darin beſtand, in allegoriſchen Darſtellungen die goͤttlichen Eigenſchaf¬ ten Ludwigs XIV. zu bezeichnen. In zahlloſen Bil¬ dern und Gedichten erſchien der Fuͤrſt von einem Goͤt¬ tergefolge begleitet, an welches die Erzaͤmter vertheilt waren. Minerva trug ihm das Scepter vor, Mars das Schwert, Victoria bekroͤnte ſeine Schlaͤfe, Hebe verwaltete das Schenkenamt, das des Truchſeß Ceres, und Venus war der Stallmeiſter. Auch in Deutſch¬ land wurde dieſe allegoriſirende Hofpoeſie eingefuͤhrt und man aͤrgerte ſelbſt noch Friedrich den Großen damit. Hoffmanswaldau war der Coryphaͤe dieſer Schule, ſpaͤter Ramler, nnd ſelbſt Wieland war noch darin wie bezaubert, obgleich er ihren ſentimen¬ talen Ernſt in Ironie verkehrte. In dieſer Schule war alles unwillkuͤrliche Karri¬ katur. Nichts konnte ſo unnatuͤrlich und komiſch ſeyn, als die Vermaͤhlung der antiken Plaſtik mit der Zeit

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/84>, abgerufen am 28.11.2024.