wie schon unsre Trennung in Confessionen beweist, daß dies nothwendig auf die Poesie einwirken muß. Auch hier ist wieder die Natur im Spiele. Der Norddeutsche ist phantastischer, witziger, humoristi¬ scher, der Süddeutsche gefühlvoller, ernster, leiden¬ schaftlicher. Die Natur ist immer der letzte Grund. Es sind dieselben Grundbedingungen, welche machen, daß Norddeutschland mehr den Protestantismus, mehr die Verstandesphilosophie und mehr die phantastisch¬ witzige Poesie, Süddeutschland mehr den Katholicis¬ mus, mehr die Naturphilosophie und mehr die Ge¬ fühlspoesie ausgebildet hat. Aus demselben Grunde sind auch der gelehrten Dichter mehr in Norddeutsch¬ land, der ungelehrten mehr in Süddeutschland zu fin¬ den. Die große Verschiedenheit in den Grundansichten der Dichter, die auf ursprünglichen Naturverschie¬ denheiten beruht, und durch die religiöse Trennung noch entschiedener ausgeprägt ist, unterscheidet unsre poetische Literatur von der aller andern Völker. Nir¬ gends finden wir eine so große Mannigfaltigkeit in so starken Gegensätzen. Die allgemeine Verflachung hat zwar auch hier auf der Oberfläche die charakte¬ ristischen Unterschiede abgerieben, und ein indifferen¬ ter Dichterpöbel breitet sich über ganz Deutschland aus, wo aber noch irgend eine Tiefe zu finden ist, da finden sich auch jene Grundunterschiede. Das ober¬ flächliche Gesindel flieht sie, haßt sie oder bemitleidet sie; und wo ein Dichter sich entschieden einer Con¬ fession oder Philosophie anschließt, ist er der entge¬
wie ſchon unſre Trennung in Confeſſionen beweist, daß dies nothwendig auf die Poeſie einwirken muß. Auch hier iſt wieder die Natur im Spiele. Der Norddeutſche iſt phantaſtiſcher, witziger, humoriſti¬ ſcher, der Suͤddeutſche gefuͤhlvoller, ernſter, leiden¬ ſchaftlicher. Die Natur iſt immer der letzte Grund. Es ſind dieſelben Grundbedingungen, welche machen, daß Norddeutſchland mehr den Proteſtantismus, mehr die Verſtandesphiloſophie und mehr die phantaſtiſch¬ witzige Poeſie, Suͤddeutſchland mehr den Katholicis¬ mus, mehr die Naturphiloſophie und mehr die Ge¬ fuͤhlspoeſie ausgebildet hat. Aus demſelben Grunde ſind auch der gelehrten Dichter mehr in Norddeutſch¬ land, der ungelehrten mehr in Suͤddeutſchland zu fin¬ den. Die große Verſchiedenheit in den Grundanſichten der Dichter, die auf urſpruͤnglichen Naturverſchie¬ denheiten beruht, und durch die religioͤſe Trennung noch entſchiedener ausgepraͤgt iſt, unterſcheidet unſre poetiſche Literatur von der aller andern Voͤlker. Nir¬ gends finden wir eine ſo große Mannigfaltigkeit in ſo ſtarken Gegenſaͤtzen. Die allgemeine Verflachung hat zwar auch hier auf der Oberflaͤche die charakte¬ riſtiſchen Unterſchiede abgerieben, und ein indifferen¬ ter Dichterpoͤbel breitet ſich uͤber ganz Deutſchland aus, wo aber noch irgend eine Tiefe zu finden iſt, da finden ſich auch jene Grundunterſchiede. Das ober¬ flaͤchliche Geſindel flieht ſie, haßt ſie oder bemitleidet ſie; und wo ein Dichter ſich entſchieden einer Con¬ feſſion oder Philoſophie anſchließt, iſt er der entge¬
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wie ſchon unſre Trennung in Confeſſionen beweist,
daß dies nothwendig auf die Poeſie einwirken muß.
Auch hier iſt wieder die Natur im Spiele. Der
Norddeutſche iſt phantaſtiſcher, witziger, humoriſti¬
ſcher, der Suͤddeutſche gefuͤhlvoller, ernſter, leiden¬
ſchaftlicher. Die Natur iſt immer der letzte Grund.
Es ſind dieſelben Grundbedingungen, welche machen,
daß Norddeutſchland mehr den Proteſtantismus, mehr
die Verſtandesphiloſophie und mehr die phantaſtiſch¬
witzige Poeſie, Suͤddeutſchland mehr den Katholicis¬
mus, mehr die Naturphiloſophie und mehr die Ge¬
fuͤhlspoeſie ausgebildet hat. Aus demſelben Grunde
ſind auch der gelehrten Dichter mehr in Norddeutſch¬
land, der ungelehrten mehr in Suͤddeutſchland zu fin¬
den. Die große Verſchiedenheit in den Grundanſichten
der Dichter, die auf urſpruͤnglichen Naturverſchie¬
denheiten beruht, und durch die religioͤſe Trennung
noch entſchiedener ausgepraͤgt iſt, unterſcheidet unſre
poetiſche Literatur von der aller andern Voͤlker. Nir¬
gends finden wir eine ſo große Mannigfaltigkeit in
ſo ſtarken Gegenſaͤtzen. Die allgemeine Verflachung
hat zwar auch hier auf der Oberflaͤche die charakte¬
riſtiſchen Unterſchiede abgerieben, und ein indifferen¬
ter Dichterpoͤbel breitet ſich uͤber ganz Deutſchland
aus, wo aber noch irgend eine Tiefe zu finden iſt,
da finden ſich auch jene Grundunterſchiede. Das ober¬
flaͤchliche Geſindel flieht ſie, haßt ſie oder bemitleidet
ſie; und wo ein Dichter ſich entſchieden einer Con¬
feſſion oder Philoſophie anſchließt, iſt er der entge¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/79>, abgerufen am 29.11.2024.
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