Studien und Sammlungen im Einzelnen. Weniger wollen die technischen Lehrbücher bedeuten, da sie erst allmählig mit der Kunstpraxis selbst sich ausbilden können und diese bekanntlich außer in der Musik die Muster der Alten noch nicht wieder erreicht hat. Alle bildenden Künste sind seit der Reformation in Ver¬ fall gerathen, und die Bilderstürmerei des Protestan¬ tismus hat nothwendig dazu führen müssen. Erst im vorigen Jahrhundert begann mit dem großen Winkel¬ mann von Seiten der Dillettanten eine Reformation der Ansicht über die bildenden Künste, der aber die Künstler und ihre Mäcenaten erst allmählich huldig¬ ten, so daß die Verjüngung dieser Künste erst noch im Werden ist. Winkelmann, Lessing, Fernow wie¬ sen auf die plastischen Muster der Alten zurück, woran sich auch beßre Ansichten von der antiken Baukunst anschlossen. Dadurch wurde der Berninische Geschmack, der dem Zeitalter der Jesuiten und des Louis XIV. angehörte, diese Schule des Schwulstes und der Fratze, siegreich bekämpft. Herder, Heinse, Göthe erweiter¬ ten den Blick über das ganze Gebiet der Kunst und retteten zuerst die Ehre des Mittelalters. Die Schle¬ gel'sche Schule, wenn man sie so nennen darf, und vorzüglich Tieck, pries die Muster der alten Malerei und Poesie, womit auch der Sinn für die gothische Baukunst wieder belebt wurde. Durch alle diese Be¬ strebungen wurde der deutsche Kunstsinn aufs tiefste ergriffen und geläutert, die falsche Nachahmung und Verzerrung der Antike, der steife französische Geschmack,
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Studien und Sammlungen im Einzelnen. Weniger wollen die techniſchen Lehrbuͤcher bedeuten, da ſie erſt allmaͤhlig mit der Kunſtpraxis ſelbſt ſich ausbilden koͤnnen und dieſe bekanntlich außer in der Muſik die Muſter der Alten noch nicht wieder erreicht hat. Alle bildenden Kuͤnſte ſind ſeit der Reformation in Ver¬ fall gerathen, und die Bilderſtuͤrmerei des Proteſtan¬ tismus hat nothwendig dazu fuͤhren muͤſſen. Erſt im vorigen Jahrhundert begann mit dem großen Winkel¬ mann von Seiten der Dillettanten eine Reformation der Anſicht uͤber die bildenden Kuͤnſte, der aber die Kuͤnſtler und ihre Maͤcenaten erſt allmaͤhlich huldig¬ ten, ſo daß die Verjuͤngung dieſer Kuͤnſte erſt noch im Werden iſt. Winkelmann, Leſſing, Fernow wie¬ ſen auf die plaſtiſchen Muſter der Alten zuruͤck, woran ſich auch beßre Anſichten von der antiken Baukunſt anſchloſſen. Dadurch wurde der Berniniſche Geſchmack, der dem Zeitalter der Jeſuiten und des Louis XIV. angehoͤrte, dieſe Schule des Schwulſtes und der Fratze, ſiegreich bekaͤmpft. Herder, Heinſe, Goͤthe erweiter¬ ten den Blick uͤber das ganze Gebiet der Kunſt und retteten zuerſt die Ehre des Mittelalters. Die Schle¬ gel'ſche Schule, wenn man ſie ſo nennen darf, und vorzuͤglich Tieck, pries die Muſter der alten Malerei und Poeſie, womit auch der Sinn fuͤr die gothiſche Baukunſt wieder belebt wurde. Durch alle dieſe Be¬ ſtrebungen wurde der deutſche Kunſtſinn aufs tiefſte ergriffen und gelaͤutert, die falſche Nachahmung und Verzerrung der Antike, der ſteife franzoͤſiſche Geſchmack,
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Studien und Sammlungen im Einzelnen. Weniger
wollen die techniſchen Lehrbuͤcher bedeuten, da ſie erſt
allmaͤhlig mit der Kunſtpraxis ſelbſt ſich ausbilden
koͤnnen und dieſe bekanntlich außer in der Muſik die
Muſter der Alten noch nicht wieder erreicht hat. Alle
bildenden Kuͤnſte ſind ſeit der Reformation in Ver¬
fall gerathen, und die Bilderſtuͤrmerei des Proteſtan¬
tismus hat nothwendig dazu fuͤhren muͤſſen. Erſt im
vorigen Jahrhundert begann mit dem großen Winkel¬
mann von Seiten der Dillettanten eine Reformation
der Anſicht uͤber die bildenden Kuͤnſte, der aber die
Kuͤnſtler und ihre Maͤcenaten erſt allmaͤhlich huldig¬
ten, ſo daß die Verjuͤngung dieſer Kuͤnſte erſt noch
im Werden iſt. Winkelmann, Leſſing, Fernow wie¬
ſen auf die plaſtiſchen Muſter der Alten zuruͤck, woran
ſich auch beßre Anſichten von der antiken Baukunſt
anſchloſſen. Dadurch wurde der Berniniſche Geſchmack,
der dem Zeitalter der Jeſuiten und des Louis XIV.
angehoͤrte, dieſe Schule des Schwulſtes und der Fratze,
ſiegreich bekaͤmpft. Herder, Heinſe, Goͤthe erweiter¬
ten den Blick uͤber das ganze Gebiet der Kunſt und
retteten zuerſt die Ehre des Mittelalters. Die Schle¬
gel'ſche Schule, wenn man ſie ſo nennen darf, und
vorzuͤglich Tieck, pries die Muſter der alten Malerei
und Poeſie, womit auch der Sinn fuͤr die gothiſche
Baukunſt wieder belebt wurde. Durch alle dieſe Be¬
ſtrebungen wurde der deutſche Kunſtſinn aufs tiefſte
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Verzerrung der Antike, der ſteife franzoͤſiſche Geſchmack,
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/61>, abgerufen am 04.12.2024.
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