eine tadelnde, als eine lobende Recension, deswegen ist kritisiren und tadeln beinahe gleichbedeutend gewor¬ den. Bedächte mancher gekränkte Autor, daß er nur darum getadelt worden, weil das Journal Tadel nöthig hatte, so würde sein Gemüth sich leicht wie¬ der trösten und abkühlen. Die meisten Recensenten würden recht gern loben, wenn sie einen Vortheil davon hätten, aber sie müssen tadeln, witzeln, den Leser zum Lachen reizen, und das Tadeln wird ihnen auch weit leichter; jeder Narr kann einen Teufel oder ein Thier an die Wand malen, nur keinen En¬ gel. Die kritischen Journale müssen, sofern sie mehr auf Leser und Effect, als auf die Wahrheit berech¬ net sind, mehr einen komischen, als einen ernsten Eindruck erzielen. Der Leser will von Neuigkeiten mehr unterhalten, von Antiquitäten mehr belehrt seyn. Lob gewährt ihm nur in seltenen Fällen Un¬ terhaltung, vorzüglich wenn er den Gegenstand des¬ selben schon kennt und liebt; Tadel ergötzt ihn aber auch am unbekannten Gegenstande. Überdem stellt das Lob den Leser selbst auf einen niedern, der Ta¬ del auf einen höhern Standpunkt, jenes demüthigt, dieser schmeichelt dem Leser.
Nichts ist so mißlich und schwierig, als eine gute Recension, und doch hält man nichts für leichter, als zu recensiren. Möchte es immerhin Spottvögel ge¬ ben, die aus angeborner Lust den Nebenmenschen durchhecheln, aber daß auch ganz friedsame Geister, denen es wohl nie eingefallen wäre, sich kritisch zu
eine tadelnde, als eine lobende Recenſion, deswegen iſt kritiſiren und tadeln beinahe gleichbedeutend gewor¬ den. Bedaͤchte mancher gekraͤnkte Autor, daß er nur darum getadelt worden, weil das Journal Tadel noͤthig hatte, ſo wuͤrde ſein Gemuͤth ſich leicht wie¬ der troͤſten und abkuͤhlen. Die meiſten Recenſenten wuͤrden recht gern loben, wenn ſie einen Vortheil davon haͤtten, aber ſie muͤſſen tadeln, witzeln, den Leſer zum Lachen reizen, und das Tadeln wird ihnen auch weit leichter; jeder Narr kann einen Teufel oder ein Thier an die Wand malen, nur keinen En¬ gel. Die kritiſchen Journale muͤſſen, ſofern ſie mehr auf Leſer und Effect, als auf die Wahrheit berech¬ net ſind, mehr einen komiſchen, als einen ernſten Eindruck erzielen. Der Leſer will von Neuigkeiten mehr unterhalten, von Antiquitaͤten mehr belehrt ſeyn. Lob gewaͤhrt ihm nur in ſeltenen Faͤllen Un¬ terhaltung, vorzuͤglich wenn er den Gegenſtand des¬ ſelben ſchon kennt und liebt; Tadel ergoͤtzt ihn aber auch am unbekannten Gegenſtande. Überdem ſtellt das Lob den Leſer ſelbſt auf einen niedern, der Ta¬ del auf einen hoͤhern Standpunkt, jenes demuͤthigt, dieſer ſchmeichelt dem Leſer.
Nichts iſt ſo mißlich und ſchwierig, als eine gute Recenſion, und doch haͤlt man nichts fuͤr leichter, als zu recenſiren. Moͤchte es immerhin Spottvoͤgel ge¬ ben, die aus angeborner Luſt den Nebenmenſchen durchhecheln, aber daß auch ganz friedſame Geiſter, denen es wohl nie eingefallen waͤre, ſich kritiſch zu
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eine tadelnde, als eine lobende Recenſion, deswegen
iſt kritiſiren und tadeln beinahe gleichbedeutend gewor¬
den. Bedaͤchte mancher gekraͤnkte Autor, daß er nur
darum getadelt worden, weil das Journal Tadel
noͤthig hatte, ſo wuͤrde ſein Gemuͤth ſich leicht wie¬
der troͤſten und abkuͤhlen. Die meiſten Recenſenten
wuͤrden recht gern loben, wenn ſie einen Vortheil
davon haͤtten, aber ſie muͤſſen tadeln, witzeln, den
Leſer zum Lachen reizen, und das Tadeln wird ihnen
auch weit leichter; jeder Narr kann einen Teufel
oder ein Thier an die Wand malen, nur keinen En¬
gel. Die kritiſchen Journale muͤſſen, ſofern ſie mehr
auf Leſer und Effect, als auf die Wahrheit berech¬
net ſind, mehr einen komiſchen, als einen ernſten
Eindruck erzielen. Der Leſer will von Neuigkeiten
mehr unterhalten, von Antiquitaͤten mehr belehrt
ſeyn. Lob gewaͤhrt ihm nur in ſeltenen Faͤllen Un¬
terhaltung, vorzuͤglich wenn er den Gegenſtand des¬
ſelben ſchon kennt und liebt; Tadel ergoͤtzt ihn aber
auch am unbekannten Gegenſtande. Überdem ſtellt
das Lob den Leſer ſelbſt auf einen niedern, der Ta¬
del auf einen hoͤhern Standpunkt, jenes demuͤthigt,
dieſer ſchmeichelt dem Leſer.
Nichts iſt ſo mißlich und ſchwierig, als eine gute
Recenſion, und doch haͤlt man nichts fuͤr leichter, als
zu recenſiren. Moͤchte es immerhin Spottvoͤgel ge¬
ben, die aus angeborner Luſt den Nebenmenſchen
durchhecheln, aber daß auch ganz friedſame Geiſter,
denen es wohl nie eingefallen waͤre, ſich kritiſch zu
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/306>, abgerufen am 27.11.2024.
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