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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Die verständige Weltbetrachtung des Romans
geht von einem Standpunkt aus, der sich außerhalb
des Betrachteten und über demselben befindet. Da¬
her einerseits die reine Objectivität, die treue Spiege¬
lung, andrerseits die Ironie des Romans.

Den Übergang von der mehr lyrischen und dra¬
matischen Stimmung unsrer Zeit bezeichnen zwar
eine Menge Romane, in denen die subjective Em¬
pfindung des Dichters noch auf lyrische Weise vor¬
waltet, besonders die eigentlichen Liebesromane des
vorigen Jahrhunderts, der Roman ist aber fortschrei¬
tend immer objectiver geworden, und das neue Jahr¬
hundert spiegelt in seinen Romanen weit weniger
mehr das Herz in Liebesgeschichten, als den Welt¬
geist in den historischen Romanen. Zwischen beiden
steht der psychologische und philosophische Roman in
der Mitte. Er macht den Übergang von der Her¬
zensergießung zur Zergliederung des Herzens. Er
strömt nicht mehr blos Empfindungen aus, sondern
er analysirt und vergleicht sie, und stellt sie ganz un¬
ter die Herrschaft des ruhig betrachtenden Verstan¬
des. Es ist dies, wenn man ein Beispiel haben will,
der Übergang von Göthe's Werther zu dessen Wahl¬
verwandtschaften. Der psychologische Roman geht aber
wieder in den philosophischen über, der den betrach¬
tenden Verstand über die Gränzlinie der Liebe hin¬
ausführt und alle Reiche des Wissens für den poe¬
tischen Geschmack anzubauen sucht, nachdem sie vom
Scharfsinn entdeckt und erobert worden. Hier geräth

Die verſtaͤndige Weltbetrachtung des Romans
geht von einem Standpunkt aus, der ſich außerhalb
des Betrachteten und uͤber demſelben befindet. Da¬
her einerſeits die reine Objectivitaͤt, die treue Spiege¬
lung, andrerſeits die Ironie des Romans.

Den Übergang von der mehr lyriſchen und dra¬
matiſchen Stimmung unſrer Zeit bezeichnen zwar
eine Menge Romane, in denen die ſubjective Em¬
pfindung des Dichters noch auf lyriſche Weiſe vor¬
waltet, beſonders die eigentlichen Liebesromane des
vorigen Jahrhunderts, der Roman iſt aber fortſchrei¬
tend immer objectiver geworden, und das neue Jahr¬
hundert ſpiegelt in ſeinen Romanen weit weniger
mehr das Herz in Liebesgeſchichten, als den Welt¬
geiſt in den hiſtoriſchen Romanen. Zwiſchen beiden
ſteht der pſychologiſche und philoſophiſche Roman in
der Mitte. Er macht den Übergang von der Her¬
zensergießung zur Zergliederung des Herzens. Er
ſtroͤmt nicht mehr blos Empfindungen aus, ſondern
er analyſirt und vergleicht ſie, und ſtellt ſie ganz un¬
ter die Herrſchaft des ruhig betrachtenden Verſtan¬
des. Es iſt dies, wenn man ein Beiſpiel haben will,
der Übergang von Goͤthe's Werther zu deſſen Wahl¬
verwandtſchaften. Der pſychologiſche Roman geht aber
wieder in den philoſophiſchen uͤber, der den betrach¬
tenden Verſtand uͤber die Graͤnzlinie der Liebe hin¬
ausfuͤhrt und alle Reiche des Wiſſens fuͤr den poe¬
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Scharfſinn entdeckt und erobert worden. Hier geraͤth

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[273/0283] Die verſtaͤndige Weltbetrachtung des Romans geht von einem Standpunkt aus, der ſich außerhalb des Betrachteten und uͤber demſelben befindet. Da¬ her einerſeits die reine Objectivitaͤt, die treue Spiege¬ lung, andrerſeits die Ironie des Romans. Den Übergang von der mehr lyriſchen und dra¬ matiſchen Stimmung unſrer Zeit bezeichnen zwar eine Menge Romane, in denen die ſubjective Em¬ pfindung des Dichters noch auf lyriſche Weiſe vor¬ waltet, beſonders die eigentlichen Liebesromane des vorigen Jahrhunderts, der Roman iſt aber fortſchrei¬ tend immer objectiver geworden, und das neue Jahr¬ hundert ſpiegelt in ſeinen Romanen weit weniger mehr das Herz in Liebesgeſchichten, als den Welt¬ geiſt in den hiſtoriſchen Romanen. Zwiſchen beiden ſteht der pſychologiſche und philoſophiſche Roman in der Mitte. Er macht den Übergang von der Her¬ zensergießung zur Zergliederung des Herzens. Er ſtroͤmt nicht mehr blos Empfindungen aus, ſondern er analyſirt und vergleicht ſie, und ſtellt ſie ganz un¬ ter die Herrſchaft des ruhig betrachtenden Verſtan¬ des. Es iſt dies, wenn man ein Beiſpiel haben will, der Übergang von Goͤthe's Werther zu deſſen Wahl¬ verwandtſchaften. Der pſychologiſche Roman geht aber wieder in den philoſophiſchen uͤber, der den betrach¬ tenden Verſtand uͤber die Graͤnzlinie der Liebe hin¬ ausfuͤhrt und alle Reiche des Wiſſens fuͤr den poe¬ tiſchen Geſchmack anzubauen ſucht, nachdem ſie vom Scharfſinn entdeckt und erobert worden. Hier geraͤth

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/283>, abgerufen am 25.11.2024.