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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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frühere unsres eignen Volks rings um uns hergestellt
und Welten über Welten entdeckt hatte, griffen die
Dichter auch bald nach allen möglichen epischen For¬
men und ahmten sie in bunter Vermischung nach, vor
allen Fouque und Ernst Schulze.

Man kann nicht läugnen, daß unsre neuere und
neueste epische Literatur an unzählichen Schönheiten
überreich ist, doch besteht die ganze Ausbeute dersel¬
ben durchgängig nur in solchen einzelnen Schönhei¬
ten. Ein vollkommen genügendes Ganze hat kein
Dichter mehr zu Stande gebracht. Allen insgesammt
schadet der Umstand, daß es Nachahmungen sind, sey
es nun mehr der Sache nach, oder der Form. Man
kann das Gedicht nicht mehr aus der Natur, nur
wieder aus einem Gedicht entlehnen. Daher sind
solche Dichter, wie nach Leonardo da Vincis Aus¬
drücke, die Maler, welche nicht nach der Natur, son¬
dern nach der Manier einer Schule malen, nicht
Söhne, sondern nur Enkel der Muse. Jene alten
Dichter schilderten ihr Volk, ihre Zeit. Wie lächer¬
lich ist es aber, wenn ein moderner deutscher Dich¬
ter die Muse Homer's anruft, und von seiner Leier
spricht, oder in Ossian's Telyn zu greifen vorgiebt.
Wie eckelhaft ist der Gedanke, daß ein Dichter, der
möglicherweise so eben Kaffee getrunken hat und Ta¬
bak raucht oder schnupft, sich erdreustet, den Lesern
vorzuspiegeln, er sey ganz und gar, mit Haut und
Haar unter die alten Griechen oder unter die Ritter
des Mittelalters gefahren. Sie würden sich schön

fruͤhere unſres eignen Volks rings um uns hergeſtellt
und Welten uͤber Welten entdeckt hatte, griffen die
Dichter auch bald nach allen moͤglichen epiſchen For¬
men und ahmten ſie in bunter Vermiſchung nach, vor
allen Fouqué und Ernſt Schulze.

Man kann nicht laͤugnen, daß unſre neuere und
neueſte epiſche Literatur an unzaͤhlichen Schoͤnheiten
uͤberreich iſt, doch beſteht die ganze Ausbeute derſel¬
ben durchgaͤngig nur in ſolchen einzelnen Schoͤnhei¬
ten. Ein vollkommen genuͤgendes Ganze hat kein
Dichter mehr zu Stande gebracht. Allen insgeſammt
ſchadet der Umſtand, daß es Nachahmungen ſind, ſey
es nun mehr der Sache nach, oder der Form. Man
kann das Gedicht nicht mehr aus der Natur, nur
wieder aus einem Gedicht entlehnen. Daher ſind
ſolche Dichter, wie nach Leonardo da Vincis Aus¬
druͤcke, die Maler, welche nicht nach der Natur, ſon¬
dern nach der Manier einer Schule malen, nicht
Soͤhne, ſondern nur Enkel der Muſe. Jene alten
Dichter ſchilderten ihr Volk, ihre Zeit. Wie laͤcher¬
lich iſt es aber, wenn ein moderner deutſcher Dich¬
ter die Muſe Homer's anruft, und von ſeiner Leier
ſpricht, oder in Oſſian's Telyn zu greifen vorgiebt.
Wie eckelhaft iſt der Gedanke, daß ein Dichter, der
moͤglicherweiſe ſo eben Kaffee getrunken hat und Ta¬
bak raucht oder ſchnupft, ſich erdreuſtet, den Leſern
vorzuſpiegeln, er ſey ganz und gar, mit Haut und
Haar unter die alten Griechen oder unter die Ritter
des Mittelalters gefahren. Sie wuͤrden ſich ſchoͤn

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[269/0279] fruͤhere unſres eignen Volks rings um uns hergeſtellt und Welten uͤber Welten entdeckt hatte, griffen die Dichter auch bald nach allen moͤglichen epiſchen For¬ men und ahmten ſie in bunter Vermiſchung nach, vor allen Fouqué und Ernſt Schulze. Man kann nicht laͤugnen, daß unſre neuere und neueſte epiſche Literatur an unzaͤhlichen Schoͤnheiten uͤberreich iſt, doch beſteht die ganze Ausbeute derſel¬ ben durchgaͤngig nur in ſolchen einzelnen Schoͤnhei¬ ten. Ein vollkommen genuͤgendes Ganze hat kein Dichter mehr zu Stande gebracht. Allen insgeſammt ſchadet der Umſtand, daß es Nachahmungen ſind, ſey es nun mehr der Sache nach, oder der Form. Man kann das Gedicht nicht mehr aus der Natur, nur wieder aus einem Gedicht entlehnen. Daher ſind ſolche Dichter, wie nach Leonardo da Vincis Aus¬ druͤcke, die Maler, welche nicht nach der Natur, ſon¬ dern nach der Manier einer Schule malen, nicht Soͤhne, ſondern nur Enkel der Muſe. Jene alten Dichter ſchilderten ihr Volk, ihre Zeit. Wie laͤcher¬ lich iſt es aber, wenn ein moderner deutſcher Dich¬ ter die Muſe Homer's anruft, und von ſeiner Leier ſpricht, oder in Oſſian's Telyn zu greifen vorgiebt. Wie eckelhaft iſt der Gedanke, daß ein Dichter, der moͤglicherweiſe ſo eben Kaffee getrunken hat und Ta¬ bak raucht oder ſchnupft, ſich erdreuſtet, den Leſern vorzuſpiegeln, er ſey ganz und gar, mit Haut und Haar unter die alten Griechen oder unter die Ritter des Mittelalters gefahren. Sie wuͤrden ſich ſchoͤn

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/279>, abgerufen am 25.11.2024.