Endlich müssen wir auf das Epos übergehn. Die epische Poesie ist in der Form des Romans jetzt offenbar die herrschende geworden. Das Epos in Versen erscheint dagegen nur noch als eine verkrüp¬ pelte Nachgeburt früherer Zeiten. Unsre mittelalter¬ lichen Vorfahren waren unübertrefflich groß im Hel¬ dengedicht. Ihre Werke jedoch, so ähnlich den alten Domen, wurden lange Zeit verkannt, wie diese. Als die Deutschen wieder anfiengen, poetisch zu werden, ahmten sie nur fremde Muster nach, die Alten und die Franzosen, dann auch Italiener und Engländer. Wie in der Baukunst machte sich auch im Epos ein gewisser jesuitisch-französischer Hofgeschmack geltend, worin die heidnischen Götter und christlichen Heiligen in buntscheckigen Allegorien und neumodischen Frisu¬ ren den Triumphwagen Ludwigs des Vierzehnten und seinesgleichen ziehn mußten. Nach Deutschland wurde die epische Muse durch Voltaire verpflanzt, dessen Henriade Schönaich in eine Hermaniade übersetzte. Da die Deutschen indeß, wenn sie einmal bei frem¬ den Mustern stehn, sich immer instinktartig die bes¬ sern wählen, so giengen unsre epischen Dichter auch bald von Voltaire auf Milton, Ariosto, Tasso, Vir¬ gil und Homer über. Klopstock borgte dem geistes¬ verwandten Engländer die christlich-mystische Idee, und von Homer die rührende Einfalt und die äußre Form. Diese Form suchte Voß in seiner Louise noch treuer zu copiren. Sobald aber Herder wie mit ei¬ nem Zauberschlag die Poesie aller Völker und die
Endlich muͤſſen wir auf das Epos uͤbergehn. Die epiſche Poeſie iſt in der Form des Romans jetzt offenbar die herrſchende geworden. Das Epos in Verſen erſcheint dagegen nur noch als eine verkruͤp¬ pelte Nachgeburt fruͤherer Zeiten. Unſre mittelalter¬ lichen Vorfahren waren unuͤbertrefflich groß im Hel¬ dengedicht. Ihre Werke jedoch, ſo aͤhnlich den alten Domen, wurden lange Zeit verkannt, wie dieſe. Als die Deutſchen wieder anfiengen, poetiſch zu werden, ahmten ſie nur fremde Muſter nach, die Alten und die Franzoſen, dann auch Italiener und Englaͤnder. Wie in der Baukunſt machte ſich auch im Epos ein gewiſſer jeſuitiſch-franzoͤſiſcher Hofgeſchmack geltend, worin die heidniſchen Goͤtter und chriſtlichen Heiligen in buntſcheckigen Allegorien und neumodiſchen Friſu¬ ren den Triumphwagen Ludwigs des Vierzehnten und ſeinesgleichen ziehn mußten. Nach Deutſchland wurde die epiſche Muſe durch Voltaire verpflanzt, deſſen Henriade Schoͤnaich in eine Hermaniade uͤberſetzte. Da die Deutſchen indeß, wenn ſie einmal bei frem¬ den Muſtern ſtehn, ſich immer inſtinktartig die beſ¬ ſern waͤhlen, ſo giengen unſre epiſchen Dichter auch bald von Voltaire auf Milton, Arioſto, Taſſo, Vir¬ gil und Homer uͤber. Klopſtock borgte dem geiſtes¬ verwandten Englaͤnder die chriſtlich-myſtiſche Idee, und von Homer die ruͤhrende Einfalt und die aͤußre Form. Dieſe Form ſuchte Voß in ſeiner Louiſe noch treuer zu copiren. Sobald aber Herder wie mit ei¬ nem Zauberſchlag die Poeſie aller Voͤlker und die
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Endlich muͤſſen wir auf das Epos uͤbergehn.
Die epiſche Poeſie iſt in der Form des Romans jetzt
offenbar die herrſchende geworden. Das Epos in
Verſen erſcheint dagegen nur noch als eine verkruͤp¬
pelte Nachgeburt fruͤherer Zeiten. Unſre mittelalter¬
lichen Vorfahren waren unuͤbertrefflich groß im Hel¬
dengedicht. Ihre Werke jedoch, ſo aͤhnlich den alten
Domen, wurden lange Zeit verkannt, wie dieſe. Als
die Deutſchen wieder anfiengen, poetiſch zu werden,
ahmten ſie nur fremde Muſter nach, die Alten und
die Franzoſen, dann auch Italiener und Englaͤnder.
Wie in der Baukunſt machte ſich auch im Epos ein
gewiſſer jeſuitiſch-franzoͤſiſcher Hofgeſchmack geltend,
worin die heidniſchen Goͤtter und chriſtlichen Heiligen
in buntſcheckigen Allegorien und neumodiſchen Friſu¬
ren den Triumphwagen Ludwigs des Vierzehnten und
ſeinesgleichen ziehn mußten. Nach Deutſchland wurde
die epiſche Muſe durch Voltaire verpflanzt, deſſen
Henriade Schoͤnaich in eine Hermaniade uͤberſetzte.
Da die Deutſchen indeß, wenn ſie einmal bei frem¬
den Muſtern ſtehn, ſich immer inſtinktartig die beſ¬
ſern waͤhlen, ſo giengen unſre epiſchen Dichter auch
bald von Voltaire auf Milton, Arioſto, Taſſo, Vir¬
gil und Homer uͤber. Klopſtock borgte dem geiſtes¬
verwandten Englaͤnder die chriſtlich-myſtiſche Idee,
und von Homer die ruͤhrende Einfalt und die aͤußre
Form. Dieſe Form ſuchte Voß in ſeiner Louiſe noch
treuer zu copiren. Sobald aber Herder wie mit ei¬
nem Zauberſchlag die Poeſie aller Voͤlker und die
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/278>, abgerufen am 25.11.2024.
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