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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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dehnt, wird das Lustspiel stets beschränkt und klein¬
lich bleiben.

Die Bühne läßt uns im Wesentlichen zweierlei
Gattungen von Lustspielen sehn, die sogenannten ho¬
hen und feinen und die niedern und gemeinen. Jene
sind für die vornehme Welt und spielen in der vor¬
nehmen Welt. Sie sind gewöhnlich etwas langweilig
und nie so gewandt und fein als die französischen
derselben Gattung. Der Scherz wird hier immer
durch die Rücksicht auf Höflichkeit und Etikette ge¬
mäßigt und gewöhnlich an die Bedienten, Soubretten
und einige alte Karrikaturen gewiesen. Auch gestat¬
tet die deutsche Moral keine großen Freiheiten und
statt liebenswürdigen Leichtsinnes sehn wir an den
vornehmen Herren und Damen im Vordergrunde ge¬
wöhnlich nur steife Förmlichkeit. Von einer Freiheit,
wie sie in Beaumarchais Figaro herrscht, ist bei uns
gar die Rede nicht.

Weit besser sind die gemeinen Lustspiele für die
gemeine Welt. Sie sind derb, oft unsittlich, aber
wenigstens lustig und von rascherem Gange. Sie
halten sich auch mehr an die Natur und haben ein
weit reicheres Feld von Karrikaturen vor sich, als
jene vornehmen Lustspiele. In dieser Gattung hat
vorzüglich Kotzebue das Zwerchfell der Deutschen zu
erschüttern gewußt. Merkwürdig ist bei fast allen
diesen Lustspielen der Umstand, daß das Lächerliche
fast immer mit dem Altmodischen identificirt wird.
Es giebt wenig deutsche Lustspiele, worin nicht irgend

Deutsche Literatur. II. l2

dehnt, wird das Luſtſpiel ſtets beſchraͤnkt und klein¬
lich bleiben.

Die Buͤhne laͤßt uns im Weſentlichen zweierlei
Gattungen von Luſtſpielen ſehn, die ſogenannten ho¬
hen und feinen und die niedern und gemeinen. Jene
ſind fuͤr die vornehme Welt und ſpielen in der vor¬
nehmen Welt. Sie ſind gewoͤhnlich etwas langweilig
und nie ſo gewandt und fein als die franzoͤſiſchen
derſelben Gattung. Der Scherz wird hier immer
durch die Ruͤckſicht auf Hoͤflichkeit und Etikette ge¬
maͤßigt und gewoͤhnlich an die Bedienten, Soubretten
und einige alte Karrikaturen gewieſen. Auch geſtat¬
tet die deutſche Moral keine großen Freiheiten und
ſtatt liebenswuͤrdigen Leichtſinnes ſehn wir an den
vornehmen Herren und Damen im Vordergrunde ge¬
woͤhnlich nur ſteife Foͤrmlichkeit. Von einer Freiheit,
wie ſie in Beaumarchais Figaro herrſcht, iſt bei uns
gar die Rede nicht.

Weit beſſer ſind die gemeinen Luſtſpiele fuͤr die
gemeine Welt. Sie ſind derb, oft unſittlich, aber
wenigſtens luſtig und von raſcherem Gange. Sie
halten ſich auch mehr an die Natur und haben ein
weit reicheres Feld von Karrikaturen vor ſich, als
jene vornehmen Luſtſpiele. In dieſer Gattung hat
vorzuͤglich Kotzebue das Zwerchfell der Deutſchen zu
erſchuͤttern gewußt. Merkwuͤrdig iſt bei faſt allen
dieſen Luſtſpielen der Umſtand, daß das Laͤcherliche
faſt immer mit dem Altmodiſchen identificirt wird.
Es giebt wenig deutſche Luſtſpiele, worin nicht irgend

Deutſche Literatur. II. l2
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[265/0275] dehnt, wird das Luſtſpiel ſtets beſchraͤnkt und klein¬ lich bleiben. Die Buͤhne laͤßt uns im Weſentlichen zweierlei Gattungen von Luſtſpielen ſehn, die ſogenannten ho¬ hen und feinen und die niedern und gemeinen. Jene ſind fuͤr die vornehme Welt und ſpielen in der vor¬ nehmen Welt. Sie ſind gewoͤhnlich etwas langweilig und nie ſo gewandt und fein als die franzoͤſiſchen derſelben Gattung. Der Scherz wird hier immer durch die Ruͤckſicht auf Hoͤflichkeit und Etikette ge¬ maͤßigt und gewoͤhnlich an die Bedienten, Soubretten und einige alte Karrikaturen gewieſen. Auch geſtat¬ tet die deutſche Moral keine großen Freiheiten und ſtatt liebenswuͤrdigen Leichtſinnes ſehn wir an den vornehmen Herren und Damen im Vordergrunde ge¬ woͤhnlich nur ſteife Foͤrmlichkeit. Von einer Freiheit, wie ſie in Beaumarchais Figaro herrſcht, iſt bei uns gar die Rede nicht. Weit beſſer ſind die gemeinen Luſtſpiele fuͤr die gemeine Welt. Sie ſind derb, oft unſittlich, aber wenigſtens luſtig und von raſcherem Gange. Sie halten ſich auch mehr an die Natur und haben ein weit reicheres Feld von Karrikaturen vor ſich, als jene vornehmen Luſtſpiele. In dieſer Gattung hat vorzuͤglich Kotzebue das Zwerchfell der Deutſchen zu erſchuͤttern gewußt. Merkwuͤrdig iſt bei faſt allen dieſen Luſtſpielen der Umſtand, daß das Laͤcherliche faſt immer mit dem Altmodiſchen identificirt wird. Es giebt wenig deutſche Luſtſpiele, worin nicht irgend Deutſche Literatur. II. l2

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/275>, abgerufen am 25.11.2024.