der Lust und des Frohsinns, die zu bekannt sind, als daß ich sie hier erwähnen sollte. Unter den neue¬ sten Dichtern dieser Gattung haben sich Wilhelm Müller und Friedrich Rückert ehrenvoll ausgezeich¬ net. Der letztere besitzt ein unermeßliches Talent für den Versbau und besonders für die Harmonik desselben. Durch Alliterationen, Assonanzen und Rei¬ men weiß er das gesammte Material der Sprache in Accorde zu fassen und in der künstlichsten Verschlin¬ gung jedem Wort eine musikalische Bedeutung zu ge¬ ben. Doch sagt diese Künstlichkeit der einfachen Em¬ pfindung nicht immer zu, und eben so wenig die orientalische Fülle seiner Bilder. Er spricht mehr die spielende Phantasie, als die Empfindung an, und darum ist ihm auch die sanguinische Weise vor allen die natürlichste.
Die Liebeslieder der frohen sanguinischen Art gelingen uns Deutschen im Allgemeinen weit weniger, als den Italienern. Im Leiden und Klagen sind wir stärker, als im Besitz und Genuß. Schamhaft und genügsam wissen wir der Geliebten von fern zu hul¬ digen, mit dem Geringsten beglückt zu scherzen, uns über die Sprödigkeit anmuthig zu trösten, aber den Besitz wissen wir nicht poetisch genug zu würzen, er macht uns gleich prosaisch. Die verschmähte und die hoffende Liebe begeistert uns, die beglückte kühlt uns ab. Erst schämen wir uns, das poetisch zu usur¬ piren, was nicht unser ist, dann schämen wir uns wieder, unsre Freude darüber laut werden zu lassen,
der Luſt und des Frohſinns, die zu bekannt ſind, als daß ich ſie hier erwaͤhnen ſollte. Unter den neue¬ ſten Dichtern dieſer Gattung haben ſich Wilhelm Muͤller und Friedrich Ruͤckert ehrenvoll ausgezeich¬ net. Der letztere beſitzt ein unermeßliches Talent fuͤr den Versbau und beſonders fuͤr die Harmonik deſſelben. Durch Alliterationen, Aſſonanzen und Rei¬ men weiß er das geſammte Material der Sprache in Accorde zu faſſen und in der kuͤnſtlichſten Verſchlin¬ gung jedem Wort eine muſikaliſche Bedeutung zu ge¬ ben. Doch ſagt dieſe Kuͤnſtlichkeit der einfachen Em¬ pfindung nicht immer zu, und eben ſo wenig die orientaliſche Fuͤlle ſeiner Bilder. Er ſpricht mehr die ſpielende Phantaſie, als die Empfindung an, und darum iſt ihm auch die ſanguiniſche Weiſe vor allen die natuͤrlichſte.
Die Liebeslieder der frohen ſanguiniſchen Art gelingen uns Deutſchen im Allgemeinen weit weniger, als den Italienern. Im Leiden und Klagen ſind wir ſtaͤrker, als im Beſitz und Genuß. Schamhaft und genuͤgſam wiſſen wir der Geliebten von fern zu hul¬ digen, mit dem Geringſten begluͤckt zu ſcherzen, uns uͤber die Sproͤdigkeit anmuthig zu troͤſten, aber den Beſitz wiſſen wir nicht poetiſch genug zu wuͤrzen, er macht uns gleich proſaiſch. Die verſchmaͤhte und die hoffende Liebe begeiſtert uns, die begluͤckte kuͤhlt uns ab. Erſt ſchaͤmen wir uns, das poetiſch zu uſur¬ piren, was nicht unſer iſt, dann ſchaͤmen wir uns wieder, unſre Freude daruͤber laut werden zu laſſen,
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der Luſt und des Frohſinns, die zu bekannt ſind,
als daß ich ſie hier erwaͤhnen ſollte. Unter den neue¬
ſten Dichtern dieſer Gattung haben ſich Wilhelm
Muͤller und Friedrich Ruͤckert ehrenvoll ausgezeich¬
net. Der letztere beſitzt ein unermeßliches Talent
fuͤr den Versbau und beſonders fuͤr die Harmonik
deſſelben. Durch Alliterationen, Aſſonanzen und Rei¬
men weiß er das geſammte Material der Sprache in
Accorde zu faſſen und in der kuͤnſtlichſten Verſchlin¬
gung jedem Wort eine muſikaliſche Bedeutung zu ge¬
ben. Doch ſagt dieſe Kuͤnſtlichkeit der einfachen Em¬
pfindung nicht immer zu, und eben ſo wenig die
orientaliſche Fuͤlle ſeiner Bilder. Er ſpricht mehr die
ſpielende Phantaſie, als die Empfindung an, und
darum iſt ihm auch die ſanguiniſche Weiſe vor allen
die natuͤrlichſte.
Die Liebeslieder der frohen ſanguiniſchen Art
gelingen uns Deutſchen im Allgemeinen weit weniger,
als den Italienern. Im Leiden und Klagen ſind wir
ſtaͤrker, als im Beſitz und Genuß. Schamhaft und
genuͤgſam wiſſen wir der Geliebten von fern zu hul¬
digen, mit dem Geringſten begluͤckt zu ſcherzen, uns
uͤber die Sproͤdigkeit anmuthig zu troͤſten, aber den
Beſitz wiſſen wir nicht poetiſch genug zu wuͤrzen, er
macht uns gleich proſaiſch. Die verſchmaͤhte und die
hoffende Liebe begeiſtert uns, die begluͤckte kuͤhlt uns
ab. Erſt ſchaͤmen wir uns, das poetiſch zu uſur¬
piren, was nicht unſer iſt, dann ſchaͤmen wir uns
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/261>, abgerufen am 23.11.2024.
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