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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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wenn der Frühling des Lebens vorüber ist. Daher
die ungeheure Masse von lyrischen Dichtern und die
Ähnlichkeit ihrer Lieder. Warum sollten sie auch die
unschuldige Freude nicht haben, blühen doch auch
viele tausend Blumen nebeneinander. Wenn sie mir
nicht alle auf Unsterblichkeit Anspruch machen, so
kann niemand etwas dagegen haben. Im Mittelal¬
ter war es auch schon so. Auch damals sangen un¬
zählige Dichter und über dieselben Gegenstände. Wir
können die Minnesänger nicht einzeln betrachten, es
war ein ganzes Volk.

Es ist noch dieselbe Gemüthskraft, die damals
zum Gesange trieb, wie jetzt, nur scheint sie damals
mehr der Natur vertraut und gesunder gewesen zu
seyn, jetzt ist sie mehr in Reflexionen verkümmert,
und oft krankhaft. Die Begeisterung wird, statt aus
der Natur, oft aus Büchern geholt, sie ist oft ge¬
lehrt, erkünstelt, überfeinert. Doch im Allgemeinen
schlägt immer wieder die gesunde Natur vor.

Die lyrische Poesie drückt allgemeine Stimmun¬
gen des Gefühls aus, oder Gefühle bei besondern
Gelegenheiten, die sich jedoch mehr oder weniger im¬
mer auf einen herrschenden Grundton im Gemüth
zurückführen lassen. Es giebt im Allgemeinen nur
vier solche vorherrschende Stimmungen des Gefühls,
denen auch die Hauptarten der lyrischen Gedichte
entsprechen. Sie richten sich nach den Temperamen¬
ten. Die sanguinische Stimmung bringt die heitern,
fröhlichen Lieder, die cholerische die trotzigen, krie¬

wenn der Fruͤhling des Lebens voruͤber iſt. Daher
die ungeheure Maſſe von lyriſchen Dichtern und die
Ähnlichkeit ihrer Lieder. Warum ſollten ſie auch die
unſchuldige Freude nicht haben, bluͤhen doch auch
viele tauſend Blumen nebeneinander. Wenn ſie mir
nicht alle auf Unſterblichkeit Anſpruch machen, ſo
kann niemand etwas dagegen haben. Im Mittelal¬
ter war es auch ſchon ſo. Auch damals ſangen un¬
zaͤhlige Dichter und uͤber dieſelben Gegenſtaͤnde. Wir
koͤnnen die Minneſaͤnger nicht einzeln betrachten, es
war ein ganzes Volk.

Es iſt noch dieſelbe Gemuͤthskraft, die damals
zum Geſange trieb, wie jetzt, nur ſcheint ſie damals
mehr der Natur vertraut und geſunder geweſen zu
ſeyn, jetzt iſt ſie mehr in Reflexionen verkuͤmmert,
und oft krankhaft. Die Begeiſterung wird, ſtatt aus
der Natur, oft aus Buͤchern geholt, ſie iſt oft ge¬
lehrt, erkuͤnſtelt, uͤberfeinert. Doch im Allgemeinen
ſchlaͤgt immer wieder die geſunde Natur vor.

Die lyriſche Poeſie druͤckt allgemeine Stimmun¬
gen des Gefuͤhls aus, oder Gefuͤhle bei beſondern
Gelegenheiten, die ſich jedoch mehr oder weniger im¬
mer auf einen herrſchenden Grundton im Gemuͤth
zuruͤckfuͤhren laſſen. Es giebt im Allgemeinen nur
vier ſolche vorherrſchende Stimmungen des Gefuͤhls,
denen auch die Hauptarten der lyriſchen Gedichte
entſprechen. Sie richten ſich nach den Temperamen¬
ten. Die ſanguiniſche Stimmung bringt die heitern,
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[249/0259] wenn der Fruͤhling des Lebens voruͤber iſt. Daher die ungeheure Maſſe von lyriſchen Dichtern und die Ähnlichkeit ihrer Lieder. Warum ſollten ſie auch die unſchuldige Freude nicht haben, bluͤhen doch auch viele tauſend Blumen nebeneinander. Wenn ſie mir nicht alle auf Unſterblichkeit Anſpruch machen, ſo kann niemand etwas dagegen haben. Im Mittelal¬ ter war es auch ſchon ſo. Auch damals ſangen un¬ zaͤhlige Dichter und uͤber dieſelben Gegenſtaͤnde. Wir koͤnnen die Minneſaͤnger nicht einzeln betrachten, es war ein ganzes Volk. Es iſt noch dieſelbe Gemuͤthskraft, die damals zum Geſange trieb, wie jetzt, nur ſcheint ſie damals mehr der Natur vertraut und geſunder geweſen zu ſeyn, jetzt iſt ſie mehr in Reflexionen verkuͤmmert, und oft krankhaft. Die Begeiſterung wird, ſtatt aus der Natur, oft aus Buͤchern geholt, ſie iſt oft ge¬ lehrt, erkuͤnſtelt, uͤberfeinert. Doch im Allgemeinen ſchlaͤgt immer wieder die geſunde Natur vor. Die lyriſche Poeſie druͤckt allgemeine Stimmun¬ gen des Gefuͤhls aus, oder Gefuͤhle bei beſondern Gelegenheiten, die ſich jedoch mehr oder weniger im¬ mer auf einen herrſchenden Grundton im Gemuͤth zuruͤckfuͤhren laſſen. Es giebt im Allgemeinen nur vier ſolche vorherrſchende Stimmungen des Gefuͤhls, denen auch die Hauptarten der lyriſchen Gedichte entſprechen. Sie richten ſich nach den Temperamen¬ ten. Die ſanguiniſche Stimmung bringt die heitern, froͤhlichen Lieder, die choleriſche die trotzigen, krie¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/259>, abgerufen am 23.11.2024.