Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

uns ihn genießen läßt, weit mehr als ein auf die
Ewigkeit berechnetes Streben. Ein Schauspiel, des
Mimen wechselnde Kunst, nimmt unsern Sinn mit
allerlei Thorheit gefangen, und wir sind zu matt
und faul geworden, diesen Sinn zu sammeln, und
Werke der Ewigkeit zu gründen, oder nur zu ver¬
stehen. Die Kunst ist zu einer Unterhaltung herab¬
gesunken, und alles Tiefe, Heilige macht den Tage¬
dieben Langeweile, da sie durch Göthe und unzählige
seiner Nachäffer einmal gewöhnt worden sind, sich be¬
dienen zu lassen, sich jede Anstrengung zu ersparen.
In der That ist es leichter, das Gemeine, wozu je¬
der ohnehin gestimmt ist, als das Erhabene, das nur
den edelsten völlig vertraut wird, bei der Masse zu
vertreten, und wenn erhabne Ideen überdem das ge¬
meine Geschlecht strafen sollen, so werden sie am
allerwenigsten mit jenen Schmeicheleien rivalisiren
können. Mit Widerwillen wendet sich der Haufen
von den finstern Propheten ab, und lauft zu den
Marktschreierbuden seiner freundlichen immer lächeln¬
den Demagogen, und diesen gelingt es ohne Mühe,
durch schimmernde Sophismen jene Propheten, die
oft vom Göttlichen, eben weil es göttlich ist, nur
stammeln, aus dem Felde zu schlagen.

Göthe beherrschte seine Zeit, indem er ihr hul¬
digte, er fesselte sie, indem er sich in alle ihre Fal¬
ten einschmiegte. Da aber der Geist seiner Zeit jener
ewig wechselnde, schaffende und zerstörende, stets
gegen sich selbst revolutionirende und protestirende

uns ihn genießen laͤßt, weit mehr als ein auf die
Ewigkeit berechnetes Streben. Ein Schauſpiel, des
Mimen wechſelnde Kunſt, nimmt unſern Sinn mit
allerlei Thorheit gefangen, und wir ſind zu matt
und faul geworden, dieſen Sinn zu ſammeln, und
Werke der Ewigkeit zu gruͤnden, oder nur zu ver¬
ſtehen. Die Kunſt iſt zu einer Unterhaltung herab¬
geſunken, und alles Tiefe, Heilige macht den Tage¬
dieben Langeweile, da ſie durch Goͤthe und unzaͤhlige
ſeiner Nachaͤffer einmal gewoͤhnt worden ſind, ſich be¬
dienen zu laſſen, ſich jede Anſtrengung zu erſparen.
In der That iſt es leichter, das Gemeine, wozu je¬
der ohnehin geſtimmt iſt, als das Erhabene, das nur
den edelſten voͤllig vertraut wird, bei der Maſſe zu
vertreten, und wenn erhabne Ideen uͤberdem das ge¬
meine Geſchlecht ſtrafen ſollen, ſo werden ſie am
allerwenigſten mit jenen Schmeicheleien rivaliſiren
koͤnnen. Mit Widerwillen wendet ſich der Haufen
von den finſtern Propheten ab, und lauft zu den
Marktſchreierbuden ſeiner freundlichen immer laͤcheln¬
den Demagogen, und dieſen gelingt es ohne Muͤhe,
durch ſchimmernde Sophismen jene Propheten, die
oft vom Goͤttlichen, eben weil es goͤttlich iſt, nur
ſtammeln, aus dem Felde zu ſchlagen.

Goͤthe beherrſchte ſeine Zeit, indem er ihr hul¬
digte, er feſſelte ſie, indem er ſich in alle ihre Fal¬
ten einſchmiegte. Da aber der Geiſt ſeiner Zeit jener
ewig wechſelnde, ſchaffende und zerſtoͤrende, ſtets
gegen ſich ſelbſt revolutionirende und proteſtirende

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0236" n="226"/>
uns ihn genießen la&#x0364;ßt, weit mehr als ein auf die<lb/>
Ewigkeit berechnetes Streben. Ein Schau&#x017F;piel, des<lb/>
Mimen wech&#x017F;elnde Kun&#x017F;t, nimmt un&#x017F;ern Sinn mit<lb/>
allerlei Thorheit gefangen, und wir &#x017F;ind zu matt<lb/>
und faul geworden, die&#x017F;en Sinn zu &#x017F;ammeln, und<lb/>
Werke der Ewigkeit zu gru&#x0364;nden, oder nur zu ver¬<lb/>
&#x017F;tehen. Die Kun&#x017F;t i&#x017F;t zu einer Unterhaltung herab¬<lb/>
ge&#x017F;unken, und alles Tiefe, Heilige macht den Tage¬<lb/>
dieben Langeweile, da &#x017F;ie durch Go&#x0364;the und unza&#x0364;hlige<lb/>
&#x017F;einer Nacha&#x0364;ffer einmal gewo&#x0364;hnt worden &#x017F;ind, &#x017F;ich be¬<lb/>
dienen zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich jede An&#x017F;trengung zu er&#x017F;paren.<lb/>
In der That i&#x017F;t es leichter, das Gemeine, wozu je¬<lb/>
der ohnehin ge&#x017F;timmt i&#x017F;t, als das Erhabene, das nur<lb/>
den edel&#x017F;ten vo&#x0364;llig vertraut wird, bei der Ma&#x017F;&#x017F;e zu<lb/>
vertreten, und wenn erhabne Ideen u&#x0364;berdem das ge¬<lb/>
meine Ge&#x017F;chlecht &#x017F;trafen &#x017F;ollen, &#x017F;o werden &#x017F;ie am<lb/>
allerwenig&#x017F;ten mit jenen Schmeicheleien rivali&#x017F;iren<lb/>
ko&#x0364;nnen. Mit Widerwillen wendet &#x017F;ich der Haufen<lb/>
von den fin&#x017F;tern Propheten ab, und lauft zu den<lb/>
Markt&#x017F;chreierbuden &#x017F;einer freundlichen immer la&#x0364;cheln¬<lb/>
den Demagogen, und die&#x017F;en gelingt es ohne Mu&#x0364;he,<lb/>
durch &#x017F;chimmernde Sophismen jene Propheten, die<lb/>
oft vom Go&#x0364;ttlichen, eben weil es go&#x0364;ttlich i&#x017F;t, nur<lb/>
&#x017F;tammeln, aus dem Felde zu &#x017F;chlagen.</p><lb/>
        <p>Go&#x0364;the beherr&#x017F;chte &#x017F;eine Zeit, indem er ihr hul¬<lb/>
digte, er fe&#x017F;&#x017F;elte &#x017F;ie, indem er &#x017F;ich in alle ihre Fal¬<lb/>
ten ein&#x017F;chmiegte. Da aber der Gei&#x017F;t &#x017F;einer Zeit jener<lb/>
ewig wech&#x017F;elnde, &#x017F;chaffende und zer&#x017F;to&#x0364;rende, &#x017F;tets<lb/>
gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t revolutionirende und prote&#x017F;tirende<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0236] uns ihn genießen laͤßt, weit mehr als ein auf die Ewigkeit berechnetes Streben. Ein Schauſpiel, des Mimen wechſelnde Kunſt, nimmt unſern Sinn mit allerlei Thorheit gefangen, und wir ſind zu matt und faul geworden, dieſen Sinn zu ſammeln, und Werke der Ewigkeit zu gruͤnden, oder nur zu ver¬ ſtehen. Die Kunſt iſt zu einer Unterhaltung herab¬ geſunken, und alles Tiefe, Heilige macht den Tage¬ dieben Langeweile, da ſie durch Goͤthe und unzaͤhlige ſeiner Nachaͤffer einmal gewoͤhnt worden ſind, ſich be¬ dienen zu laſſen, ſich jede Anſtrengung zu erſparen. In der That iſt es leichter, das Gemeine, wozu je¬ der ohnehin geſtimmt iſt, als das Erhabene, das nur den edelſten voͤllig vertraut wird, bei der Maſſe zu vertreten, und wenn erhabne Ideen uͤberdem das ge¬ meine Geſchlecht ſtrafen ſollen, ſo werden ſie am allerwenigſten mit jenen Schmeicheleien rivaliſiren koͤnnen. Mit Widerwillen wendet ſich der Haufen von den finſtern Propheten ab, und lauft zu den Marktſchreierbuden ſeiner freundlichen immer laͤcheln¬ den Demagogen, und dieſen gelingt es ohne Muͤhe, durch ſchimmernde Sophismen jene Propheten, die oft vom Goͤttlichen, eben weil es goͤttlich iſt, nur ſtammeln, aus dem Felde zu ſchlagen. Goͤthe beherrſchte ſeine Zeit, indem er ihr hul¬ digte, er feſſelte ſie, indem er ſich in alle ihre Fal¬ ten einſchmiegte. Da aber der Geiſt ſeiner Zeit jener ewig wechſelnde, ſchaffende und zerſtoͤrende, ſtets gegen ſich ſelbſt revolutionirende und proteſtirende

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/236
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/236>, abgerufen am 23.11.2024.