Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr oder weniger Pythagoras, Jakob Böhme, Spi¬
noza seyn, aber es kam darauf an, daß er zugleich
entweder ein Copernikus, Gallilei, Kepler, Newton,
Linne, Franklin, Haller, Buffon, la Place, Cuvier,
Mesmer, Stahl, Gall, Werner, Orstede, Hum¬
boldt etc. war, oder wenigstens die Naturerfahrung
solcher Männer seiner Philosophie zu Grunde legte.
Es kam darauf an, aus der todten Empirie den le¬
bendigen Geist zu wecken, und der gespensterhaft leeren
nebelhaften Seele eines naturphilosophischen Traums
den lebendigen Leib zu gewinnen, kurz die Empirie
durch Philosophie zu regeln, und die Philosophie
auch Empirie zu bestätigen.

Schelling war der Erste, der die alte Naturphi¬
losophie durch die wissenschaftlichen Erfahrungen der
neuern Zeit bewahrheitet, oder, was eben so viel
ist, die Naturwissenschaft der Neuern zur Philosophie
erhoben hat. Es wäre jedoch ein übermenschliches
Wunder, das die Naturphilosophie selbst nicht zuge¬
ben kann, wenn Schelling's unsterbliche Leistung nicht
große Einschränkungen erlitte, wenn er die Philoso¬
phie der Natur beschlossen und vollendet hätte. Im
Gegentheil, er hat nur den ersten kleinen Anfang
gemacht, aber eben das ist seine Größe. Er hat ei¬
nen Weg betreten, den vor ihm niemand gegangen
ist, und den nach ihm jeder gehen muß; das Ziel
selbst aber ist weder erreicht, noch wird es jemals
zu erreichen seyn, weil es jenseits der drei oben be¬
zeichneten Gränzlinien aller Naturforschung liegt. In¬

mehr oder weniger Pythagoras, Jakob Boͤhme, Spi¬
noza ſeyn, aber es kam darauf an, daß er zugleich
entweder ein Copernikus, Gallilei, Kepler, Newton,
Linné, Franklin, Haller, Buffon, la Place, Cuvier,
Mesmer, Stahl, Gall, Werner, Orſtede, Hum¬
boldt ꝛc. war, oder wenigſtens die Naturerfahrung
ſolcher Maͤnner ſeiner Philoſophie zu Grunde legte.
Es kam darauf an, aus der todten Empirie den le¬
bendigen Geiſt zu wecken, und der geſpenſterhaft leeren
nebelhaften Seele eines naturphiloſophiſchen Traums
den lebendigen Leib zu gewinnen, kurz die Empirie
durch Philoſophie zu regeln, und die Philoſophie
auch Empirie zu beſtaͤtigen.

Schelling war der Erſte, der die alte Naturphi¬
loſophie durch die wiſſenſchaftlichen Erfahrungen der
neuern Zeit bewahrheitet, oder, was eben ſo viel
iſt, die Naturwiſſenſchaft der Neuern zur Philoſophie
erhoben hat. Es waͤre jedoch ein uͤbermenſchliches
Wunder, das die Naturphiloſophie ſelbſt nicht zuge¬
ben kann, wenn Schelling's unſterbliche Leiſtung nicht
große Einſchraͤnkungen erlitte, wenn er die Philoſo¬
phie der Natur beſchloſſen und vollendet haͤtte. Im
Gegentheil, er hat nur den erſten kleinen Anfang
gemacht, aber eben das iſt ſeine Groͤße. Er hat ei¬
nen Weg betreten, den vor ihm niemand gegangen
iſt, und den nach ihm jeder gehen muß; das Ziel
ſelbſt aber iſt weder erreicht, noch wird es jemals
zu erreichen ſeyn, weil es jenſeits der drei oben be¬
zeichneten Graͤnzlinien aller Naturforſchung liegt. In¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="13"/>
mehr oder weniger Pythagoras, Jakob Bo&#x0364;hme, Spi¬<lb/>
noza &#x017F;eyn, aber es kam darauf an, daß er zugleich<lb/>
entweder ein Copernikus, Gallilei, Kepler, Newton,<lb/>
Linn<hi rendition="#aq">é</hi>, Franklin, Haller, Buffon, la Place, Cuvier,<lb/>
Mesmer, Stahl, Gall, Werner, Or&#x017F;tede, Hum¬<lb/>
boldt &#xA75B;c. war, oder wenig&#x017F;tens die Naturerfahrung<lb/>
&#x017F;olcher Ma&#x0364;nner &#x017F;einer Philo&#x017F;ophie zu Grunde legte.<lb/>
Es kam darauf an, aus der todten Empirie den le¬<lb/>
bendigen Gei&#x017F;t zu wecken, und der ge&#x017F;pen&#x017F;terhaft leeren<lb/>
nebelhaften Seele eines naturphilo&#x017F;ophi&#x017F;chen Traums<lb/>
den lebendigen Leib zu gewinnen, kurz die Empirie<lb/>
durch Philo&#x017F;ophie zu regeln, und die Philo&#x017F;ophie<lb/>
auch Empirie zu be&#x017F;ta&#x0364;tigen.</p><lb/>
        <p>Schelling war der Er&#x017F;te, der die alte Naturphi¬<lb/>
lo&#x017F;ophie durch die wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Erfahrungen der<lb/>
neuern Zeit bewahrheitet, oder, was eben &#x017F;o viel<lb/>
i&#x017F;t, die Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Neuern zur Philo&#x017F;ophie<lb/>
erhoben hat. Es wa&#x0364;re jedoch ein u&#x0364;bermen&#x017F;chliches<lb/>
Wunder, das die Naturphilo&#x017F;ophie &#x017F;elb&#x017F;t nicht zuge¬<lb/>
ben kann, wenn Schelling's un&#x017F;terbliche Lei&#x017F;tung nicht<lb/>
große Ein&#x017F;chra&#x0364;nkungen erlitte, wenn er die Philo&#x017F;<lb/>
phie der Natur be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und vollendet ha&#x0364;tte. Im<lb/>
Gegentheil, er hat nur den er&#x017F;ten kleinen Anfang<lb/>
gemacht, aber eben das i&#x017F;t &#x017F;eine Gro&#x0364;ße. Er hat ei¬<lb/>
nen Weg betreten, den vor ihm niemand gegangen<lb/>
i&#x017F;t, und den nach ihm jeder gehen muß; das Ziel<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t aber i&#x017F;t weder erreicht, noch wird es jemals<lb/>
zu erreichen &#x017F;eyn, weil es jen&#x017F;eits der drei oben be¬<lb/>
zeichneten Gra&#x0364;nzlinien aller Naturfor&#x017F;chung liegt. In¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0023] mehr oder weniger Pythagoras, Jakob Boͤhme, Spi¬ noza ſeyn, aber es kam darauf an, daß er zugleich entweder ein Copernikus, Gallilei, Kepler, Newton, Linné, Franklin, Haller, Buffon, la Place, Cuvier, Mesmer, Stahl, Gall, Werner, Orſtede, Hum¬ boldt ꝛc. war, oder wenigſtens die Naturerfahrung ſolcher Maͤnner ſeiner Philoſophie zu Grunde legte. Es kam darauf an, aus der todten Empirie den le¬ bendigen Geiſt zu wecken, und der geſpenſterhaft leeren nebelhaften Seele eines naturphiloſophiſchen Traums den lebendigen Leib zu gewinnen, kurz die Empirie durch Philoſophie zu regeln, und die Philoſophie auch Empirie zu beſtaͤtigen. Schelling war der Erſte, der die alte Naturphi¬ loſophie durch die wiſſenſchaftlichen Erfahrungen der neuern Zeit bewahrheitet, oder, was eben ſo viel iſt, die Naturwiſſenſchaft der Neuern zur Philoſophie erhoben hat. Es waͤre jedoch ein uͤbermenſchliches Wunder, das die Naturphiloſophie ſelbſt nicht zuge¬ ben kann, wenn Schelling's unſterbliche Leiſtung nicht große Einſchraͤnkungen erlitte, wenn er die Philoſo¬ phie der Natur beſchloſſen und vollendet haͤtte. Im Gegentheil, er hat nur den erſten kleinen Anfang gemacht, aber eben das iſt ſeine Groͤße. Er hat ei¬ nen Weg betreten, den vor ihm niemand gegangen iſt, und den nach ihm jeder gehen muß; das Ziel ſelbſt aber iſt weder erreicht, noch wird es jemals zu erreichen ſeyn, weil es jenſeits der drei oben be¬ zeichneten Graͤnzlinien aller Naturforſchung liegt. In¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/23
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/23>, abgerufen am 24.11.2024.