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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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und die moralischen Erzählungen den Predigten, ja
bei Hermes, Nikolai, Stilling und andern war der
Roman wirklich mit Predigten oder wenigstens sehr
ähnlichen Raisonnements durchflochten, dasselbe findet
noch jetzt häufig statt, z. B. in dem Roman: Wahl
und Führung. Die psychologischen Schilderungen be¬
gannen mit Lessing und verbreiteten sich vorzüglich
in Norddeutschland in der Form theils der Lust- und
Rührspiele, theils der Romane. Sie gingen aus dem
Bestreben hervor, die Natur in ihren feinsten Falten
zu belauschen. Ihr ästhetischer Grundsatz war derje¬
nige des Batteur, daß die Poesie die Natur voll¬
kommen copiren müsse. Die Wahrheit war das Kri¬
terium ihres poetisches Werthes. Unter den Roman¬
schreibern bildete Miller z. B. in seinem Siegfried
von Lindenberg, unter den Dramatikern vorzüglich
Iffland diese Gattung aus. Das Höchste hat Göthe
darin geleistet, besonders im Werther, im Wilhelm
Meister und in den Wahlverwandtschaften, obgleich
diese Dichtungen nur zum Theil dem psychologischen
Interesse angehören, und wesentlich zu der sentimen¬
talen Gattung gerechnet werden müssen. In den jüng¬
sten Zeiten haben sich besonders Weiber auf die psy¬
chologischen Schilderungen eingelassen, während die
Männer sich auf den historischen Roman in der Ma¬
nier Walter Scotts geworfen haben. Doch diese Da¬
menromane sind wie die Gothischen, nach denen sie
sich gemodelt haben, mehr sentimental, als psycholo¬
gisch. An die psychologischen Schilderungen im poe¬

und die moraliſchen Erzaͤhlungen den Predigten, ja
bei Hermes, Nikolai, Stilling und andern war der
Roman wirklich mit Predigten oder wenigſtens ſehr
aͤhnlichen Raiſonnements durchflochten, daſſelbe findet
noch jetzt haͤufig ſtatt, z. B. in dem Roman: Wahl
und Fuͤhrung. Die pſychologiſchen Schilderungen be¬
gannen mit Leſſing und verbreiteten ſich vorzuͤglich
in Norddeutſchland in der Form theils der Luſt- und
Ruͤhrſpiele, theils der Romane. Sie gingen aus dem
Beſtreben hervor, die Natur in ihren feinſten Falten
zu belauſchen. Ihr aͤſthetiſcher Grundſatz war derje¬
nige des Batteur, daß die Poeſie die Natur voll¬
kommen copiren muͤſſe. Die Wahrheit war das Kri¬
terium ihres poetiſches Werthes. Unter den Roman¬
ſchreibern bildete Miller z. B. in ſeinem Siegfried
von Lindenberg, unter den Dramatikern vorzuͤglich
Iffland dieſe Gattung aus. Das Hoͤchſte hat Goͤthe
darin geleiſtet, beſonders im Werther, im Wilhelm
Meiſter und in den Wahlverwandtſchaften, obgleich
dieſe Dichtungen nur zum Theil dem pſychologiſchen
Intereſſe angehoͤren, und weſentlich zu der ſentimen¬
talen Gattung gerechnet werden muͤſſen. In den juͤng¬
ſten Zeiten haben ſich beſonders Weiber auf die pſy¬
chologiſchen Schilderungen eingelaſſen, waͤhrend die
Maͤnner ſich auf den hiſtoriſchen Roman in der Ma¬
nier Walter Scotts geworfen haben. Doch dieſe Da¬
menromane ſind wie die Gothiſchen, nach denen ſie
ſich gemodelt haben, mehr ſentimental, als pſycholo¬
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[192/0202] und die moraliſchen Erzaͤhlungen den Predigten, ja bei Hermes, Nikolai, Stilling und andern war der Roman wirklich mit Predigten oder wenigſtens ſehr aͤhnlichen Raiſonnements durchflochten, daſſelbe findet noch jetzt haͤufig ſtatt, z. B. in dem Roman: Wahl und Fuͤhrung. Die pſychologiſchen Schilderungen be¬ gannen mit Leſſing und verbreiteten ſich vorzuͤglich in Norddeutſchland in der Form theils der Luſt- und Ruͤhrſpiele, theils der Romane. Sie gingen aus dem Beſtreben hervor, die Natur in ihren feinſten Falten zu belauſchen. Ihr aͤſthetiſcher Grundſatz war derje¬ nige des Batteur, daß die Poeſie die Natur voll¬ kommen copiren muͤſſe. Die Wahrheit war das Kri¬ terium ihres poetiſches Werthes. Unter den Roman¬ ſchreibern bildete Miller z. B. in ſeinem Siegfried von Lindenberg, unter den Dramatikern vorzuͤglich Iffland dieſe Gattung aus. Das Hoͤchſte hat Goͤthe darin geleiſtet, beſonders im Werther, im Wilhelm Meiſter und in den Wahlverwandtſchaften, obgleich dieſe Dichtungen nur zum Theil dem pſychologiſchen Intereſſe angehoͤren, und weſentlich zu der ſentimen¬ talen Gattung gerechnet werden muͤſſen. In den juͤng¬ ſten Zeiten haben ſich beſonders Weiber auf die pſy¬ chologiſchen Schilderungen eingelaſſen, waͤhrend die Maͤnner ſich auf den hiſtoriſchen Roman in der Ma¬ nier Walter Scotts geworfen haben. Doch dieſe Da¬ menromane ſind wie die Gothiſchen, nach denen ſie ſich gemodelt haben, mehr ſentimental, als pſycholo¬ giſch. An die pſychologiſchen Schilderungen im poe¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/202>, abgerufen am 22.11.2024.