mitten in ein Volk versetzen, oder sich darüber stel¬ len, oder zwischen die Völker, und auf jedem Stand¬ punkte stellt sich ihm die Geschichte in einem neuen Reize dar. Versetzt er sich mitten in die Seele seines Volks, so wird seine Dichtung von jenem patriotischen Feuer glühen können, das jedes Herz in gleicher Gluth entzündet, und von jeher eine unwiderstehliche poe¬ tische Kraft behauptet hat, und dies ist die Lyrik des historischen Romans. Stellt sich der Dichter über das Leben und die Zeit, so wird er ihr Bild am reinsten auffassen können. Der Geist der Völker ant¬ wortet auf unsere Fragen am besten in einiger Ent¬ fernung, wie das Echo. Darum spricht er aus der Vergangenheit am vernehmlichsten. Die Zeit bewirkt schon, was dem Dichter erforderlich ist; sie drängt nämlich das Bild der Völker und der Geschichte zu¬ sammen. Auch verbreitet schon ihre Ferne von selbst über jeden Gegenstand einen magischen Duft und Schleier, der ihm ein rührendes Interesse verleiht, und es bedarf nicht erst der elegischen Mittel des Dichters, über ein Gemälde des Alterthums den sanf¬ ten Reiz der Wehmuth auszugießen. Vorzüglich un¬ tergegangene Nationen, aber überhaupt jede Vergan¬ genheit erscheint uns schon an sich poetisch, und nur in der Gegenwart thront die gemeine Alltäglichkeit und Prosa; so wie wir auch nur in dem Lande, dar¬ in wir leben, gelangweilt werden, während uns das große Panorama der Völker rings umher Erstaunen und Sehnsucht einflößt und die Seele mit einer un¬
mitten in ein Volk verſetzen, oder ſich daruͤber ſtel¬ len, oder zwiſchen die Voͤlker, und auf jedem Stand¬ punkte ſtellt ſich ihm die Geſchichte in einem neuen Reize dar. Verſetzt er ſich mitten in die Seele ſeines Volks, ſo wird ſeine Dichtung von jenem patriotiſchen Feuer gluͤhen koͤnnen, das jedes Herz in gleicher Gluth entzuͤndet, und von jeher eine unwiderſtehliche poe¬ tiſche Kraft behauptet hat, und dies iſt die Lyrik des hiſtoriſchen Romans. Stellt ſich der Dichter uͤber das Leben und die Zeit, ſo wird er ihr Bild am reinſten auffaſſen koͤnnen. Der Geiſt der Voͤlker ant¬ wortet auf unſere Fragen am beſten in einiger Ent¬ fernung, wie das Echo. Darum ſpricht er aus der Vergangenheit am vernehmlichſten. Die Zeit bewirkt ſchon, was dem Dichter erforderlich iſt; ſie draͤngt naͤmlich das Bild der Voͤlker und der Geſchichte zu¬ ſammen. Auch verbreitet ſchon ihre Ferne von ſelbſt uͤber jeden Gegenſtand einen magiſchen Duft und Schleier, der ihm ein ruͤhrendes Intereſſe verleiht, und es bedarf nicht erſt der elegiſchen Mittel des Dichters, uͤber ein Gemaͤlde des Alterthums den ſanf¬ ten Reiz der Wehmuth auszugießen. Vorzuͤglich un¬ tergegangene Nationen, aber uͤberhaupt jede Vergan¬ genheit erſcheint uns ſchon an ſich poetiſch, und nur in der Gegenwart thront die gemeine Alltaͤglichkeit und Proſa; ſo wie wir auch nur in dem Lande, dar¬ in wir leben, gelangweilt werden, waͤhrend uns das große Panorama der Voͤlker rings umher Erſtaunen und Sehnſucht einfloͤßt und die Seele mit einer un¬
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mitten in ein Volk verſetzen, oder ſich daruͤber ſtel¬
len, oder zwiſchen die Voͤlker, und auf jedem Stand¬
punkte ſtellt ſich ihm die Geſchichte in einem neuen Reize
dar. Verſetzt er ſich mitten in die Seele ſeines Volks,
ſo wird ſeine Dichtung von jenem patriotiſchen Feuer
gluͤhen koͤnnen, das jedes Herz in gleicher Gluth
entzuͤndet, und von jeher eine unwiderſtehliche poe¬
tiſche Kraft behauptet hat, und dies iſt die Lyrik des
hiſtoriſchen Romans. Stellt ſich der Dichter uͤber
das Leben und die Zeit, ſo wird er ihr Bild am
reinſten auffaſſen koͤnnen. Der Geiſt der Voͤlker ant¬
wortet auf unſere Fragen am beſten in einiger Ent¬
fernung, wie das Echo. Darum ſpricht er aus der
Vergangenheit am vernehmlichſten. Die Zeit bewirkt
ſchon, was dem Dichter erforderlich iſt; ſie draͤngt
naͤmlich das Bild der Voͤlker und der Geſchichte zu¬
ſammen. Auch verbreitet ſchon ihre Ferne von ſelbſt
uͤber jeden Gegenſtand einen magiſchen Duft und
Schleier, der ihm ein ruͤhrendes Intereſſe verleiht,
und es bedarf nicht erſt der elegiſchen Mittel des
Dichters, uͤber ein Gemaͤlde des Alterthums den ſanf¬
ten Reiz der Wehmuth auszugießen. Vorzuͤglich un¬
tergegangene Nationen, aber uͤberhaupt jede Vergan¬
genheit erſcheint uns ſchon an ſich poetiſch, und nur
in der Gegenwart thront die gemeine Alltaͤglichkeit
und Proſa; ſo wie wir auch nur in dem Lande, dar¬
in wir leben, gelangweilt werden, waͤhrend uns das
große Panorama der Voͤlker rings umher Erſtaunen
und Sehnſucht einfloͤßt und die Seele mit einer un¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/189>, abgerufen am 24.11.2024.
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