Flammen bezeichnet. Aus dem fernen Indien, Per¬ sien, Arabien, Palästina, aus dem finnischen und slavischen Norden, aus Scandinavien, Schottland, England, aus Spanien, selbst aus der neuen Welt hat man auf Herders Wink das Gold der Dichtkunst zu einem großen ewig fortwuchernden Hort in der deutschen Literatur zusammengehäuft.
Anfangs wurde der große Strom der auf diese Weise hereinbrechenden romantischen Poesie in das Mittelalter abgeleitet, wie wir vorhin schon gesehen haben. Das eigentliche nationelle Interesse wurde hier mit einem andern vermischt oder ihm aufgeopfert. Nur die Schlegelsche Schule fuhr in Herders Sinn fort, die fremden Nationalitäten uns bekannt zu machen, obwohl mit zu viel Kritik und Gelehr¬ samkeit. Populär wurde diese Poesie erst seit der Revolution. Damals wurden alle Völker Europas durcheinander geworfen. Man sah fremde Physiog¬ nomien und Trachten, und die Liebhaberei am Frem¬ den nahm überhand. Populäre Dichter, wie Kotze¬ bue, machten sich dieß zu Nutzen und in Schauspie¬ len, Romanen und sahen wir bald die man¬ nigfaltigsten Costume Effect machen. Doch im Dienst des Theatereffects war die Poesie des Nationellen noch nicht frei geworden.
Nur einzelne Dichter waren tiefer in das Phy¬ siognomische der Völker eingedrungen, und hatten uns lebendige Gemälde, eigenthümliche Volksnaturen ent¬ worfen, so vor allen Göthe, dessen feines Gefühl
Flammen bezeichnet. Aus dem fernen Indien, Per¬ ſien, Arabien, Palaͤſtina, aus dem finniſchen und ſlaviſchen Norden, aus Scandinavien, Schottland, England, aus Spanien, ſelbſt aus der neuen Welt hat man auf Herders Wink das Gold der Dichtkunſt zu einem großen ewig fortwuchernden Hort in der deutſchen Literatur zuſammengehaͤuft.
Anfangs wurde der große Strom der auf dieſe Weiſe hereinbrechenden romantiſchen Poeſie in das Mittelalter abgeleitet, wie wir vorhin ſchon geſehen haben. Das eigentliche nationelle Intereſſe wurde hier mit einem andern vermiſcht oder ihm aufgeopfert. Nur die Schlegelſche Schule fuhr in Herders Sinn fort, die fremden Nationalitaͤten uns bekannt zu machen, obwohl mit zu viel Kritik und Gelehr¬ ſamkeit. Populaͤr wurde dieſe Poeſie erſt ſeit der Revolution. Damals wurden alle Voͤlker Europas durcheinander geworfen. Man ſah fremde Phyſiog¬ nomien und Trachten, und die Liebhaberei am Frem¬ den nahm uͤberhand. Populaͤre Dichter, wie Kotze¬ bue, machten ſich dieß zu Nutzen und in Schauſpie¬ len, Romanen und ſahen wir bald die man¬ nigfaltigſten Coſtume Effect machen. Doch im Dienſt des Theatereffects war die Poeſie des Nationellen noch nicht frei geworden.
Nur einzelne Dichter waren tiefer in das Phy¬ ſiognomiſche der Voͤlker eingedrungen, und hatten uns lebendige Gemaͤlde, eigenthuͤmliche Volksnaturen ent¬ worfen, ſo vor allen Goͤthe, deſſen feines Gefuͤhl
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Flammen bezeichnet. Aus dem fernen Indien, Per¬
ſien, Arabien, Palaͤſtina, aus dem finniſchen und
ſlaviſchen Norden, aus Scandinavien, Schottland,
England, aus Spanien, ſelbſt aus der neuen Welt
hat man auf Herders Wink das Gold der Dichtkunſt
zu einem großen ewig fortwuchernden Hort in der
deutſchen Literatur zuſammengehaͤuft.
Anfangs wurde der große Strom der auf dieſe
Weiſe hereinbrechenden romantiſchen Poeſie in das
Mittelalter abgeleitet, wie wir vorhin ſchon geſehen
haben. Das eigentliche nationelle Intereſſe wurde
hier mit einem andern vermiſcht oder ihm aufgeopfert.
Nur die Schlegelſche Schule fuhr in Herders
Sinn fort, die fremden Nationalitaͤten uns bekannt
zu machen, obwohl mit zu viel Kritik und Gelehr¬
ſamkeit. Populaͤr wurde dieſe Poeſie erſt ſeit der
Revolution. Damals wurden alle Voͤlker Europas
durcheinander geworfen. Man ſah fremde Phyſiog¬
nomien und Trachten, und die Liebhaberei am Frem¬
den nahm uͤberhand. Populaͤre Dichter, wie Kotze¬
bue, machten ſich dieß zu Nutzen und in Schauſpie¬
len, Romanen und ſahen wir bald die man¬
nigfaltigſten Coſtume Effect machen. Doch im Dienſt
des Theatereffects war die Poeſie des Nationellen
noch nicht frei geworden.
Nur einzelne Dichter waren tiefer in das Phy¬
ſiognomiſche der Voͤlker eingedrungen, und hatten uns
lebendige Gemaͤlde, eigenthuͤmliche Volksnaturen ent¬
worfen, ſo vor allen Goͤthe, deſſen feines Gefuͤhl
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/173>, abgerufen am 24.11.2024.
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