erhabenen Charakteren contrastirt er sodann die alte edle Einfalt und Unschuld mit der Überfeinerung und Affectation der neuern Zeit, die alte Ehrlichkeit mit der neuen Pfiffigkeit, die alte Bescheidenheit mit der neuen Eitelkeit, die alte Wahrheit mit der neuen Lüge. In der Tiefe und Wärme des Gemüths aber bezeichnet er die Hauptverschiedenheit des Mittelalters von unsrer Zeit. Dieses Gemüth offenbarte sich in Andacht, Liebe, Ehre, und der Verstand unsrer Zeit hat ihm leider das Gegentheil jener Tugenden, Un¬ glauben, Egoismus und Schamlosigkeit entgegenzuse¬ tzen. Tieck malt mit tiefglühenden, brennenden Far¬ ben die Frömmigkeit und religiöse Innigkeit der al¬ ten Zeit, im herben Gegensatz gegen die moderne Aufklärung und deren albernen oder frechen Unglau¬ ben. Mit eben so warmen Zügen schildert er die Liebe jenes mildkräftigen Geschlechts der Vorzeit, und kein Dichter außer Shakespeare und Schiller hat die Liebe, den ewigen Gegenstand der Poesie, so tief und wahr geschildert. Endlich malt uns der Dichter die ritter¬ liche Männertugend der alten Zeit in den kräftigsten Zügen, den angebornen Adel, und die bewußtlose Gro߬ muth der Helden.
Jenes gewaltige Leben der Vorzeit hatte wesent¬ lich zwei Brennpunkte, die Religion auf der einen, Ritterthum und Minne auf der andern Seite, d. h. das Herz offenbarte sich in doppelter Richtung gegen das Überirdische und Irdische, und seine Flammen loderten hier im reinen Lilienlicht der Andacht, dort
erhabenen Charakteren contraſtirt er ſodann die alte edle Einfalt und Unſchuld mit der Überfeinerung und Affectation der neuern Zeit, die alte Ehrlichkeit mit der neuen Pfiffigkeit, die alte Beſcheidenheit mit der neuen Eitelkeit, die alte Wahrheit mit der neuen Luͤge. In der Tiefe und Waͤrme des Gemuͤths aber bezeichnet er die Hauptverſchiedenheit des Mittelalters von unſrer Zeit. Dieſes Gemuͤth offenbarte ſich in Andacht, Liebe, Ehre, und der Verſtand unſrer Zeit hat ihm leider das Gegentheil jener Tugenden, Un¬ glauben, Egoismus und Schamloſigkeit entgegenzuſe¬ tzen. Tieck malt mit tiefgluͤhenden, brennenden Far¬ ben die Froͤmmigkeit und religioͤſe Innigkeit der al¬ ten Zeit, im herben Gegenſatz gegen die moderne Aufklaͤrung und deren albernen oder frechen Unglau¬ ben. Mit eben ſo warmen Zuͤgen ſchildert er die Liebe jenes mildkraͤftigen Geſchlechts der Vorzeit, und kein Dichter außer Shakeſpeare und Schiller hat die Liebe, den ewigen Gegenſtand der Poeſie, ſo tief und wahr geſchildert. Endlich malt uns der Dichter die ritter¬ liche Maͤnnertugend der alten Zeit in den kraͤftigſten Zuͤgen, den angebornen Adel, und die bewußtloſe Gro߬ muth der Helden.
Jenes gewaltige Leben der Vorzeit hatte weſent¬ lich zwei Brennpunkte, die Religion auf der einen, Ritterthum und Minne auf der andern Seite, d. h. das Herz offenbarte ſich in doppelter Richtung gegen das Überirdiſche und Irdiſche, und ſeine Flammen loderten hier im reinen Lilienlicht der Andacht, dort
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erhabenen Charakteren contraſtirt er ſodann die alte
edle Einfalt und Unſchuld mit der Überfeinerung und
Affectation der neuern Zeit, die alte Ehrlichkeit mit
der neuen Pfiffigkeit, die alte Beſcheidenheit mit
der neuen Eitelkeit, die alte Wahrheit mit der neuen
Luͤge. In der Tiefe und Waͤrme des Gemuͤths aber
bezeichnet er die Hauptverſchiedenheit des Mittelalters
von unſrer Zeit. Dieſes Gemuͤth offenbarte ſich in
Andacht, Liebe, Ehre, und der Verſtand unſrer Zeit
hat ihm leider das Gegentheil jener Tugenden, Un¬
glauben, Egoismus und Schamloſigkeit entgegenzuſe¬
tzen. Tieck malt mit tiefgluͤhenden, brennenden Far¬
ben die Froͤmmigkeit und religioͤſe Innigkeit der al¬
ten Zeit, im herben Gegenſatz gegen die moderne
Aufklaͤrung und deren albernen oder frechen Unglau¬
ben. Mit eben ſo warmen Zuͤgen ſchildert er die Liebe
jenes mildkraͤftigen Geſchlechts der Vorzeit, und kein
Dichter außer Shakeſpeare und Schiller hat die Liebe,
den ewigen Gegenſtand der Poeſie, ſo tief und wahr
geſchildert. Endlich malt uns der Dichter die ritter¬
liche Maͤnnertugend der alten Zeit in den kraͤftigſten
Zuͤgen, den angebornen Adel, und die bewußtloſe Gro߬
muth der Helden.
Jenes gewaltige Leben der Vorzeit hatte weſent¬
lich zwei Brennpunkte, die Religion auf der einen,
Ritterthum und Minne auf der andern Seite, d. h.
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/160>, abgerufen am 22.11.2024.
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