Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

nauer Verbindung mit den Überresten der mittelalter¬
lichen Poesie. Der größte Reiz der neuern Dichtun¬
gen dieser Art ist das Helldunkel des mittelalterlichen
Volksglaubens.

Wir müssen indeß auch in dieser Gattung wieder
unterscheiden. Die altdeutsche Poesie selbst enthält
zwei Elemente, ein heidnisches und ein christliches,
darnach sich dieselbe als Sagenpoesie und als katho¬
lische Legenden- und Ritterpoesie ausgebildet hat. Dem¬
zufolge hat auch die neuere Romantik entweder mehr
die heidnische Sage und den ältesten Volksglauben,
oder das katholische Heiligen-, Priester- und Ritter¬
wesen in sich aufgenommen. Ludwig Tieck ist der Re¬
präsentant dieser ganzen Gattung in beiden Richtun¬
gen. Ihm folgte in der Richtung der Sagenpoesie
vorzüglich Uhland, in der katholischen Richtung aber
Werner, dessen schon gedacht ist.

Die alte Volkssage klang mit dem alten Volks¬
glauben und Aberglauben durch alle wechselnde Me¬
lodien des Zeitgeistes und der Mode beständig als
ein lang gehaltner tiefer Ton hindurch. In der fran¬
zösischen Aufklärungsperiode sank sie am tiefsten und
verhallte beinah. Sie diente nur noch dem Witz und
der Ironie in Heldengedichten, wie die von Wieland.
Erst Herder machte auf den Werth der alten Sagen
aufmerksam, und nach ihm bemühte sich besonders
die Schlegel'sche Schule, die Schätze der alten Volks¬
poesie ans Tageslicht zu ziehn. Für die deutsche Sage
und den deutschen Volksglauben geschah besonders viel

nauer Verbindung mit den Überreſten der mittelalter¬
lichen Poeſie. Der groͤßte Reiz der neuern Dichtun¬
gen dieſer Art iſt das Helldunkel des mittelalterlichen
Volksglaubens.

Wir muͤſſen indeß auch in dieſer Gattung wieder
unterſcheiden. Die altdeutſche Poeſie ſelbſt enthaͤlt
zwei Elemente, ein heidniſches und ein chriſtliches,
darnach ſich dieſelbe als Sagenpoeſie und als katho¬
liſche Legenden- und Ritterpoeſie ausgebildet hat. Dem¬
zufolge hat auch die neuere Romantik entweder mehr
die heidniſche Sage und den aͤlteſten Volksglauben,
oder das katholiſche Heiligen-, Prieſter- und Ritter¬
weſen in ſich aufgenommen. Ludwig Tieck iſt der Re¬
praͤſentant dieſer ganzen Gattung in beiden Richtun¬
gen. Ihm folgte in der Richtung der Sagenpoeſie
vorzuͤglich Uhland, in der katholiſchen Richtung aber
Werner, deſſen ſchon gedacht iſt.

Die alte Volksſage klang mit dem alten Volks¬
glauben und Aberglauben durch alle wechſelnde Me¬
lodien des Zeitgeiſtes und der Mode beſtaͤndig als
ein lang gehaltner tiefer Ton hindurch. In der fran¬
zoͤſiſchen Aufklaͤrungsperiode ſank ſie am tiefſten und
verhallte beinah. Sie diente nur noch dem Witz und
der Ironie in Heldengedichten, wie die von Wieland.
Erſt Herder machte auf den Werth der alten Sagen
aufmerkſam, und nach ihm bemuͤhte ſich beſonders
die Schlegel'ſche Schule, die Schaͤtze der alten Volks¬
poeſie ans Tageslicht zu ziehn. Fuͤr die deutſche Sage
und den deutſchen Volksglauben geſchah beſonders viel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0152" n="142"/>
nauer Verbindung mit den Überre&#x017F;ten der mittelalter¬<lb/>
lichen Poe&#x017F;ie. Der gro&#x0364;ßte Reiz der neuern Dichtun¬<lb/>
gen die&#x017F;er Art i&#x017F;t das Helldunkel des mittelalterlichen<lb/>
Volksglaubens.</p><lb/>
        <p>Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en indeß auch in die&#x017F;er Gattung wieder<lb/>
unter&#x017F;cheiden. Die altdeut&#x017F;che Poe&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t entha&#x0364;lt<lb/>
zwei Elemente, ein heidni&#x017F;ches und ein chri&#x017F;tliches,<lb/>
darnach &#x017F;ich die&#x017F;elbe als Sagenpoe&#x017F;ie und als katho¬<lb/>
li&#x017F;che Legenden- und Ritterpoe&#x017F;ie ausgebildet hat. Dem¬<lb/>
zufolge hat auch die neuere Romantik entweder mehr<lb/>
die heidni&#x017F;che Sage und den a&#x0364;lte&#x017F;ten Volksglauben,<lb/>
oder das katholi&#x017F;che Heiligen-, Prie&#x017F;ter- und Ritter¬<lb/>
we&#x017F;en in &#x017F;ich aufgenommen. Ludwig Tieck i&#x017F;t der Re¬<lb/>
pra&#x0364;&#x017F;entant die&#x017F;er ganzen Gattung in beiden Richtun¬<lb/>
gen. Ihm folgte in der Richtung der Sagenpoe&#x017F;ie<lb/>
vorzu&#x0364;glich Uhland, in der katholi&#x017F;chen Richtung aber<lb/>
Werner, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chon gedacht i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Die alte Volks&#x017F;age klang mit dem alten Volks¬<lb/>
glauben und Aberglauben durch alle wech&#x017F;elnde Me¬<lb/>
lodien des Zeitgei&#x017F;tes und der Mode be&#x017F;ta&#x0364;ndig als<lb/>
ein lang gehaltner tiefer Ton hindurch. In der fran¬<lb/>
zo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Aufkla&#x0364;rungsperiode &#x017F;ank &#x017F;ie am tief&#x017F;ten und<lb/>
verhallte beinah. Sie diente nur noch dem Witz und<lb/>
der Ironie in Heldengedichten, wie die von Wieland.<lb/>
Er&#x017F;t Herder machte auf den Werth der alten Sagen<lb/>
aufmerk&#x017F;am, und nach ihm bemu&#x0364;hte &#x017F;ich be&#x017F;onders<lb/>
die Schlegel'&#x017F;che Schule, die Scha&#x0364;tze der alten Volks¬<lb/>
poe&#x017F;ie ans Tageslicht zu ziehn. Fu&#x0364;r die deut&#x017F;che Sage<lb/>
und den deut&#x017F;chen Volksglauben ge&#x017F;chah be&#x017F;onders viel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0152] nauer Verbindung mit den Überreſten der mittelalter¬ lichen Poeſie. Der groͤßte Reiz der neuern Dichtun¬ gen dieſer Art iſt das Helldunkel des mittelalterlichen Volksglaubens. Wir muͤſſen indeß auch in dieſer Gattung wieder unterſcheiden. Die altdeutſche Poeſie ſelbſt enthaͤlt zwei Elemente, ein heidniſches und ein chriſtliches, darnach ſich dieſelbe als Sagenpoeſie und als katho¬ liſche Legenden- und Ritterpoeſie ausgebildet hat. Dem¬ zufolge hat auch die neuere Romantik entweder mehr die heidniſche Sage und den aͤlteſten Volksglauben, oder das katholiſche Heiligen-, Prieſter- und Ritter¬ weſen in ſich aufgenommen. Ludwig Tieck iſt der Re¬ praͤſentant dieſer ganzen Gattung in beiden Richtun¬ gen. Ihm folgte in der Richtung der Sagenpoeſie vorzuͤglich Uhland, in der katholiſchen Richtung aber Werner, deſſen ſchon gedacht iſt. Die alte Volksſage klang mit dem alten Volks¬ glauben und Aberglauben durch alle wechſelnde Me¬ lodien des Zeitgeiſtes und der Mode beſtaͤndig als ein lang gehaltner tiefer Ton hindurch. In der fran¬ zoͤſiſchen Aufklaͤrungsperiode ſank ſie am tiefſten und verhallte beinah. Sie diente nur noch dem Witz und der Ironie in Heldengedichten, wie die von Wieland. Erſt Herder machte auf den Werth der alten Sagen aufmerkſam, und nach ihm bemuͤhte ſich beſonders die Schlegel'ſche Schule, die Schaͤtze der alten Volks¬ poeſie ans Tageslicht zu ziehn. Fuͤr die deutſche Sage und den deutſchen Volksglauben geſchah beſonders viel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/152
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/152>, abgerufen am 22.11.2024.