Indem er alles mit seiner Liebe verband, war er selber der Gott seiner unermeßlich reichen Welt. Schon früher ist angedeutet worden, daß Novalis den Gott Fichtes in die Poesie übersetzt hat. Jenes göttliche Ich, was bei Fichte der strengen Arbeit der Selbstschöpfung oblag, feiert bei Novalis den ersten Sabbath und sitzt auf dem Throne seiner Herrlich¬ keit, um sich versammelnd alle Zauber des Himmels und der Erde, die ihm in Andacht dienen. Was bei Fichte der männliche Wille, das war bei Novalis die Liebe des Menschen, beide gleich ursprünglich, frei, unendlich, göttlich.
In ganz freier, pittoresker Form hat jene Welt¬ poesie den Zauber der Harmonik aufgeben müssen, doch mit der Veränderung der Form ist nicht zugleich ihr Geist umgewandelt worden. Allegorie oder Bei¬ spiel sprechen die ewigen Weltideen nicht minder aus, als jene mystischen Lehrgebäude. In der Personifi¬ cation und Mythe walteten noch die alten Götter der Ursymbolik. Wir besitzen Dramen und Romane, die wir zu dieser Gattung von Weltpoesie rechnen müssen, weil sie nicht wunderbare Begebenheiten, noch ideale Menschen, noch Costüme gewisser Zeiten, son¬ dern nur das Walten des ewigen Weltgeistes schil¬ dern, das poetische Wunder nur im Ganzen der Welt suchen, und voll philosophischen Tiefsinns sind. Un¬ ter den Gedichten dieser Art steht Göthe's Faust oben an.
Indem er alles mit ſeiner Liebe verband, war er ſelber der Gott ſeiner unermeßlich reichen Welt. Schon fruͤher iſt angedeutet worden, daß Novalis den Gott Fichtes in die Poeſie uͤberſetzt hat. Jenes goͤttliche Ich, was bei Fichte der ſtrengen Arbeit der Selbſtſchoͤpfung oblag, feiert bei Novalis den erſten Sabbath und ſitzt auf dem Throne ſeiner Herrlich¬ keit, um ſich verſammelnd alle Zauber des Himmels und der Erde, die ihm in Andacht dienen. Was bei Fichte der maͤnnliche Wille, das war bei Novalis die Liebe des Menſchen, beide gleich urſpruͤnglich, frei, unendlich, goͤttlich.
In ganz freier, pittoresker Form hat jene Welt¬ poeſie den Zauber der Harmonik aufgeben muͤſſen, doch mit der Veraͤnderung der Form iſt nicht zugleich ihr Geiſt umgewandelt worden. Allegorie oder Bei¬ ſpiel ſprechen die ewigen Weltideen nicht minder aus, als jene myſtiſchen Lehrgebaͤude. In der Perſonifi¬ cation und Mythe walteten noch die alten Goͤtter der Urſymbolik. Wir beſitzen Dramen und Romane, die wir zu dieſer Gattung von Weltpoeſie rechnen muͤſſen, weil ſie nicht wunderbare Begebenheiten, noch ideale Menſchen, noch Coſtuͤme gewiſſer Zeiten, ſon¬ dern nur das Walten des ewigen Weltgeiſtes ſchil¬ dern, das poetiſche Wunder nur im Ganzen der Welt ſuchen, und voll philoſophiſchen Tiefſinns ſind. Un¬ ter den Gedichten dieſer Art ſteht Goͤthe's Fauſt oben an.
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Indem er alles mit ſeiner Liebe verband, war er
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Schon fruͤher iſt angedeutet worden, daß Novalis
den Gott Fichtes in die Poeſie uͤberſetzt hat. Jenes
goͤttliche Ich, was bei Fichte der ſtrengen Arbeit der
Selbſtſchoͤpfung oblag, feiert bei Novalis den erſten
Sabbath und ſitzt auf dem Throne ſeiner Herrlich¬
keit, um ſich verſammelnd alle Zauber des Himmels
und der Erde, die ihm in Andacht dienen. Was bei
Fichte der maͤnnliche Wille, das war bei Novalis
die Liebe des Menſchen, beide gleich urſpruͤnglich,
frei, unendlich, goͤttlich.
In ganz freier, pittoresker Form hat jene Welt¬
poeſie den Zauber der Harmonik aufgeben muͤſſen,
doch mit der Veraͤnderung der Form iſt nicht zugleich
ihr Geiſt umgewandelt worden. Allegorie oder Bei¬
ſpiel ſprechen die ewigen Weltideen nicht minder aus,
als jene myſtiſchen Lehrgebaͤude. In der Perſonifi¬
cation und Mythe walteten noch die alten Goͤtter
der Urſymbolik. Wir beſitzen Dramen und Romane,
die wir zu dieſer Gattung von Weltpoeſie rechnen
muͤſſen, weil ſie nicht wunderbare Begebenheiten, noch
ideale Menſchen, noch Coſtuͤme gewiſſer Zeiten, ſon¬
dern nur das Walten des ewigen Weltgeiſtes ſchil¬
dern, das poetiſche Wunder nur im Ganzen der Welt
ſuchen, und voll philoſophiſchen Tiefſinns ſind. Un¬
ter den Gedichten dieſer Art ſteht Goͤthe's Fauſt
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/149>, abgerufen am 22.11.2024.
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