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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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einem vielumfassenden, geistigen Organ vermittelt wer¬
den kann. Die meisten Menschen genießen alles nur
aphoristisch, weil sie nicht im Stande sind, viel auf
einmal zusammenzufassen und zu behalten. Ihnen
bleiben daher auch die herrlichsten Wundergebäude der
Harmonik verschloßen. Sie gehn von einem Einzel¬
nen zum andern über, ohne je das Ganze zu über¬
schauen. Dadurch bleibt ihnen aber auch das Ein¬
zelne räthselhaft. Sie halten daher die einzelnen
Parthien eines naturphilosophischen Werks für wun¬
derliche Arabesken ohne Sinn.

Den Übergang von der strengen architektonischen
zur freien pittoresken Form machte Novalis. Er
brachte seine Philosophie in die Form eines histori¬
schen Romans, doch sein wunderliches Gedicht ist
noch ganz architektonisch construirt, seine Personen
sind weniger frei handelnde Wesen, als nur perso¬
nificirte Ideen und noch in das ganze Ideengebäude
wie in Stein verwachsen. Er hatte den ungeheuern
Gedanken, das ganze All von der poetischen Seite,
ja von jeder möglichen poetischen Seite zugleich zu
zeigen, alles, was da ist, Natur, Geist und Ge¬
schichte in einer unendlichen Poesie zu verknüpfen,
alles ersinnliche Schöne zumal in einem großen Dom
von Poesie zu verbauen. Darum hat er nicht nur
Himmel und Erde in sein Gedicht aufgenommen, son¬
dern auch die Ansichten, den Glauben, die Mythen
aller Völker. Alles zog er an sein großes Herz, über
alles hat er den Liebesschein desselben ausgegossen.

einem vielumfaſſenden, geiſtigen Organ vermittelt wer¬
den kann. Die meiſten Menſchen genießen alles nur
aphoriſtiſch, weil ſie nicht im Stande ſind, viel auf
einmal zuſammenzufaſſen und zu behalten. Ihnen
bleiben daher auch die herrlichſten Wundergebaͤude der
Harmonik verſchloßen. Sie gehn von einem Einzel¬
nen zum andern uͤber, ohne je das Ganze zu uͤber¬
ſchauen. Dadurch bleibt ihnen aber auch das Ein¬
zelne raͤthſelhaft. Sie halten daher die einzelnen
Parthien eines naturphiloſophiſchen Werks fuͤr wun¬
derliche Arabesken ohne Sinn.

Den Übergang von der ſtrengen architektoniſchen
zur freien pittoresken Form machte Novalis. Er
brachte ſeine Philoſophie in die Form eines hiſtori¬
ſchen Romans, doch ſein wunderliches Gedicht iſt
noch ganz architektoniſch conſtruirt, ſeine Perſonen
ſind weniger frei handelnde Weſen, als nur perſo¬
nificirte Ideen und noch in das ganze Ideengebaͤude
wie in Stein verwachſen. Er hatte den ungeheuern
Gedanken, das ganze All von der poetiſchen Seite,
ja von jeder moͤglichen poetiſchen Seite zugleich zu
zeigen, alles, was da iſt, Natur, Geiſt und Ge¬
ſchichte in einer unendlichen Poeſie zu verknuͤpfen,
alles erſinnliche Schoͤne zumal in einem großen Dom
von Poeſie zu verbauen. Darum hat er nicht nur
Himmel und Erde in ſein Gedicht aufgenommen, ſon¬
dern auch die Anſichten, den Glauben, die Mythen
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[138/0148] einem vielumfaſſenden, geiſtigen Organ vermittelt wer¬ den kann. Die meiſten Menſchen genießen alles nur aphoriſtiſch, weil ſie nicht im Stande ſind, viel auf einmal zuſammenzufaſſen und zu behalten. Ihnen bleiben daher auch die herrlichſten Wundergebaͤude der Harmonik verſchloßen. Sie gehn von einem Einzel¬ nen zum andern uͤber, ohne je das Ganze zu uͤber¬ ſchauen. Dadurch bleibt ihnen aber auch das Ein¬ zelne raͤthſelhaft. Sie halten daher die einzelnen Parthien eines naturphiloſophiſchen Werks fuͤr wun¬ derliche Arabesken ohne Sinn. Den Übergang von der ſtrengen architektoniſchen zur freien pittoresken Form machte Novalis. Er brachte ſeine Philoſophie in die Form eines hiſtori¬ ſchen Romans, doch ſein wunderliches Gedicht iſt noch ganz architektoniſch conſtruirt, ſeine Perſonen ſind weniger frei handelnde Weſen, als nur perſo¬ nificirte Ideen und noch in das ganze Ideengebaͤude wie in Stein verwachſen. Er hatte den ungeheuern Gedanken, das ganze All von der poetiſchen Seite, ja von jeder moͤglichen poetiſchen Seite zugleich zu zeigen, alles, was da iſt, Natur, Geiſt und Ge¬ ſchichte in einer unendlichen Poeſie zu verknuͤpfen, alles erſinnliche Schoͤne zumal in einem großen Dom von Poeſie zu verbauen. Darum hat er nicht nur Himmel und Erde in ſein Gedicht aufgenommen, ſon¬ dern auch die Anſichten, den Glauben, die Mythen aller Voͤlker. Alles zog er an ſein großes Herz, uͤber alles hat er den Liebesſchein deſſelben ausgegoſſen.

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/148>, abgerufen am 22.11.2024.