prosaischen und philosophischen Seite durch eine größere Summe von Erfahrungsbegriffen. Bei Ja¬ kob Böhme überwog die Kunst, bei den neuern Na¬ turphilosophen überwiegt der Stoff. Er macht aus Wenigem mehr, sie machen aus Vielem weniger. Selbst seine Irthümer haben einen hohen poetischen Zauber, jene dagegen entlehnen ihren Glanz nur von der Wahrheit.
Die schönsten neuern philosophischen Gedichte oder dichterischen Offenbarungen in systematischer Form sind die Naturphilosophien und unter diesen wieder vor¬ züglich die von Görres und Steffens. Hier erscheint die ganze Welt in das Zauberlicht des Wunderbaren getaucht, das Gemeinste als etwas Bedeutungsvolles und Mystisches, alles in Harmonie, alles wie feier¬ lich geschmückt und geordnet zum Fest des Höchsten. Wir sehn in den tiefen Zusammenhang der Natur wie in ein kunstreiches Gebäude, und in die Weltge¬ schichte, wie in ein Drama. Alles Wirkliche erscheint als Kunst, alles Alltägliche wird zum Wunder. Den erhabensten poetischen Eindruck macht der Überblick über das Ganze, aber auch im Einzelnen überrascht uns die Neuheit der Beziehungen, der nicht geahn¬ dete Einklang entfernt scheinender Dinge, das Selt¬ same der Contraste, das Liebliche des Wiederscheins. Eine ganz unendliche Fülle von Genuß strömt auf uns heran, und wir glauben in einem Meer von Poesie unterzugehn. Aber gerade diesen Genuß ver¬ stehn sich nur Wenige zu verschaffen, weil er nur
proſaiſchen und philoſophiſchen Seite durch eine groͤßere Summe von Erfahrungsbegriffen. Bei Ja¬ kob Boͤhme uͤberwog die Kunſt, bei den neuern Na¬ turphiloſophen uͤberwiegt der Stoff. Er macht aus Wenigem mehr, ſie machen aus Vielem weniger. Selbſt ſeine Irthuͤmer haben einen hohen poetiſchen Zauber, jene dagegen entlehnen ihren Glanz nur von der Wahrheit.
Die ſchoͤnſten neuern philoſophiſchen Gedichte oder dichteriſchen Offenbarungen in ſyſtematiſcher Form ſind die Naturphiloſophien und unter dieſen wieder vor¬ zuͤglich die von Goͤrres und Steffens. Hier erſcheint die ganze Welt in das Zauberlicht des Wunderbaren getaucht, das Gemeinſte als etwas Bedeutungsvolles und Myſtiſches, alles in Harmonie, alles wie feier¬ lich geſchmuͤckt und geordnet zum Feſt des Hoͤchſten. Wir ſehn in den tiefen Zuſammenhang der Natur wie in ein kunſtreiches Gebaͤude, und in die Weltge¬ ſchichte, wie in ein Drama. Alles Wirkliche erſcheint als Kunſt, alles Alltaͤgliche wird zum Wunder. Den erhabenſten poetiſchen Eindruck macht der Überblick uͤber das Ganze, aber auch im Einzelnen uͤberraſcht uns die Neuheit der Beziehungen, der nicht geahn¬ dete Einklang entfernt ſcheinender Dinge, das Selt¬ ſame der Contraſte, das Liebliche des Wiederſcheins. Eine ganz unendliche Fuͤlle von Genuß ſtroͤmt auf uns heran, und wir glauben in einem Meer von Poeſie unterzugehn. Aber gerade dieſen Genuß ver¬ ſtehn ſich nur Wenige zu verſchaffen, weil er nur
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proſaiſchen und philoſophiſchen Seite durch eine
groͤßere Summe von Erfahrungsbegriffen. Bei Ja¬
kob Boͤhme uͤberwog die Kunſt, bei den neuern Na¬
turphiloſophen uͤberwiegt der Stoff. Er macht aus
Wenigem mehr, ſie machen aus Vielem weniger.
Selbſt ſeine Irthuͤmer haben einen hohen poetiſchen
Zauber, jene dagegen entlehnen ihren Glanz nur von
der Wahrheit.
Die ſchoͤnſten neuern philoſophiſchen Gedichte oder
dichteriſchen Offenbarungen in ſyſtematiſcher Form ſind
die Naturphiloſophien und unter dieſen wieder vor¬
zuͤglich die von Goͤrres und Steffens. Hier erſcheint
die ganze Welt in das Zauberlicht des Wunderbaren
getaucht, das Gemeinſte als etwas Bedeutungsvolles
und Myſtiſches, alles in Harmonie, alles wie feier¬
lich geſchmuͤckt und geordnet zum Feſt des Hoͤchſten.
Wir ſehn in den tiefen Zuſammenhang der Natur wie
in ein kunſtreiches Gebaͤude, und in die Weltge¬
ſchichte, wie in ein Drama. Alles Wirkliche erſcheint
als Kunſt, alles Alltaͤgliche wird zum Wunder. Den
erhabenſten poetiſchen Eindruck macht der Überblick
uͤber das Ganze, aber auch im Einzelnen uͤberraſcht
uns die Neuheit der Beziehungen, der nicht geahn¬
dete Einklang entfernt ſcheinender Dinge, das Selt¬
ſame der Contraſte, das Liebliche des Wiederſcheins.
Eine ganz unendliche Fuͤlle von Genuß ſtroͤmt auf
uns heran, und wir glauben in einem Meer von
Poeſie unterzugehn. Aber gerade dieſen Genuß ver¬
ſtehn ſich nur Wenige zu verſchaffen, weil er nur
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/147>, abgerufen am 22.11.2024.
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