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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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ter Engel, an die Pforte der Zukunft sich gestellt,
ihren Schleier gelüftet, und dem sehnenden Auge
eine freie, heitere Aussicht aufgethan.

Die ernste, feierliche Stimmung, von welcher
wir bei Schiller ergriffen werden, die Erhebung, zu
der er unsre Seele zwingt, die heiligen Schauer, die
ihn umgeben, sind freilich nicht geeignet, den ästheti¬
schen Kleinmeistern zu gefallen, den faden, süffisan¬
ten, lüsternen Kunstjüngern, die in der Seele vor
ihm erschrecken, und ihn aus geheimer Rache bekrit¬
teln. Schnell ist man damit fertig, ihn unnatürlich,
steif, pedantisch, grob zu nennen, und ihn für einen
Dichter der ungezogenen Jugend und des Pöbels zu
verschreien. Freilich, euch ist alles Große und Herr¬
liche unnatürlich geworden, weil ihr im Grund ver¬
dorben seyd, weil euch die Gemeinheit zur andern
Natur geworden ist. Euch erscheint die Tugend pe¬
dantisch, weil ihr sie aus fremdem Munde predigen
hören müßt, weil sie nicht in euern Herzen selber
spricht. Euch erscheint jede kühne Freiheit grob, weil
sie eure conventionellen Schonungen und Gehege
durchbricht, eure kleinen Götzen zertrümmert. Nur
auf euch fällt die Schande, wenn die unverdorbne
Jugend und das Volk, das ihr Pöbel nennt, den
großen Dichter besser ehrt. Ich behaupte, daß kein
Dichter in der Welt unsern Schiller in sittlicher
Zartheit übertroffen hat, und sie ist es, für welche
die deutsche Jugend, das deutsche Volk auch den zar¬
testen Sinn hat, so lange derselbe nicht durch euer

ter Engel, an die Pforte der Zukunft ſich geſtellt,
ihren Schleier geluͤftet, und dem ſehnenden Auge
eine freie, heitere Ausſicht aufgethan.

Die ernſte, feierliche Stimmung, von welcher
wir bei Schiller ergriffen werden, die Erhebung, zu
der er unſre Seele zwingt, die heiligen Schauer, die
ihn umgeben, ſind freilich nicht geeignet, den aͤſtheti¬
ſchen Kleinmeiſtern zu gefallen, den faden, ſuͤffiſan¬
ten, luͤſternen Kunſtjuͤngern, die in der Seele vor
ihm erſchrecken, und ihn aus geheimer Rache bekrit¬
teln. Schnell iſt man damit fertig, ihn unnatuͤrlich,
ſteif, pedantiſch, grob zu nennen, und ihn fuͤr einen
Dichter der ungezogenen Jugend und des Poͤbels zu
verſchreien. Freilich, euch iſt alles Große und Herr¬
liche unnatuͤrlich geworden, weil ihr im Grund ver¬
dorben ſeyd, weil euch die Gemeinheit zur andern
Natur geworden iſt. Euch erſcheint die Tugend pe¬
dantiſch, weil ihr ſie aus fremdem Munde predigen
hoͤren muͤßt, weil ſie nicht in euern Herzen ſelber
ſpricht. Euch erſcheint jede kuͤhne Freiheit grob, weil
ſie eure conventionellen Schonungen und Gehege
durchbricht, eure kleinen Goͤtzen zertruͤmmert. Nur
auf euch faͤllt die Schande, wenn die unverdorbne
Jugend und das Volk, das ihr Poͤbel nennt, den
großen Dichter beſſer ehrt. Ich behaupte, daß kein
Dichter in der Welt unſern Schiller in ſittlicher
Zartheit uͤbertroffen hat, und ſie iſt es, fuͤr welche
die deutſche Jugend, das deutſche Volk auch den zar¬
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[130/0140] ter Engel, an die Pforte der Zukunft ſich geſtellt, ihren Schleier geluͤftet, und dem ſehnenden Auge eine freie, heitere Ausſicht aufgethan. Die ernſte, feierliche Stimmung, von welcher wir bei Schiller ergriffen werden, die Erhebung, zu der er unſre Seele zwingt, die heiligen Schauer, die ihn umgeben, ſind freilich nicht geeignet, den aͤſtheti¬ ſchen Kleinmeiſtern zu gefallen, den faden, ſuͤffiſan¬ ten, luͤſternen Kunſtjuͤngern, die in der Seele vor ihm erſchrecken, und ihn aus geheimer Rache bekrit¬ teln. Schnell iſt man damit fertig, ihn unnatuͤrlich, ſteif, pedantiſch, grob zu nennen, und ihn fuͤr einen Dichter der ungezogenen Jugend und des Poͤbels zu verſchreien. Freilich, euch iſt alles Große und Herr¬ liche unnatuͤrlich geworden, weil ihr im Grund ver¬ dorben ſeyd, weil euch die Gemeinheit zur andern Natur geworden iſt. Euch erſcheint die Tugend pe¬ dantiſch, weil ihr ſie aus fremdem Munde predigen hoͤren muͤßt, weil ſie nicht in euern Herzen ſelber ſpricht. Euch erſcheint jede kuͤhne Freiheit grob, weil ſie eure conventionellen Schonungen und Gehege durchbricht, eure kleinen Goͤtzen zertruͤmmert. Nur auf euch faͤllt die Schande, wenn die unverdorbne Jugend und das Volk, das ihr Poͤbel nennt, den großen Dichter beſſer ehrt. Ich behaupte, daß kein Dichter in der Welt unſern Schiller in ſittlicher Zartheit uͤbertroffen hat, und ſie iſt es, fuͤr welche die deutſche Jugend, das deutſche Volk auch den zar¬ teſten Sinn hat, ſo lange derſelbe nicht durch euer

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/140>, abgerufen am 23.11.2024.