ihrem höhern Adel oder kämpfend in ihrer siegenden Stärke zu zeigen, so im Taucher, in der Bürgschaft; oder er legt einen menschlichen Sinn in die Natur, und giebt ihren blinden Kräften eine sittliche Bedeu¬ tung, so in den Göttern Griechenlands, in der Klage der Ceres, in Hero und Leander, den Kranichen des Ibikus, der Glocke etc. Selbst in seinen historischen Schriften ist es ihm weniger um den epischen, der Naturnothwendigkeit entsprechenden Gang des Gan¬ zen zu thun, als um die hervorstehenden Charaktere, das Element der menschlichen Freiheit im Gegensatz gegen jene Nothwendigkeit.
Die Seele aller Schöpfungen Schillers sind seine idealen Menschen. Er schildert überall nur den Men¬ schen, aber in seiner höchsten sittlichen Schönheit und Erhabenheit. Es fiel ihm sogar beinahe unmöglich, einer Poesie, welche den Menschen nicht idealisirt, diesen Ehrennamen zu geben. Wenn uns Schiller aber auch Ideale der Sittlichkeit schilderte, so würde dieß zunächst nur seiner eignen Sittlichkeit zur Ehre gereichen, jedoch nichts für seinen poetischen Werth entscheiden. Im Gegentheil sind die meisten frühern und spätern Tugenddichter große Sünder gegen die Poesie gewesen, und es ist eben so schwer, eine edle Menschennatur zu schildern, als zu besitzen, aber nichts leichter, als die Anmaßung von beidem. Wenn Ideale der Sittlichkeit in einer Person dargestellt werden sollen, so muß verlangt werden, daß die
ihrem hoͤhern Adel oder kaͤmpfend in ihrer ſiegenden Staͤrke zu zeigen, ſo im Taucher, in der Buͤrgſchaft; oder er legt einen menſchlichen Sinn in die Natur, und giebt ihren blinden Kraͤften eine ſittliche Bedeu¬ tung, ſo in den Goͤttern Griechenlands, in der Klage der Ceres, in Hero und Leander, den Kranichen des Ibikus, der Glocke ꝛc. Selbſt in ſeinen hiſtoriſchen Schriften iſt es ihm weniger um den epiſchen, der Naturnothwendigkeit entſprechenden Gang des Gan¬ zen zu thun, als um die hervorſtehenden Charaktere, das Element der menſchlichen Freiheit im Gegenſatz gegen jene Nothwendigkeit.
Die Seele aller Schoͤpfungen Schillers ſind ſeine idealen Menſchen. Er ſchildert uͤberall nur den Men¬ ſchen, aber in ſeiner hoͤchſten ſittlichen Schoͤnheit und Erhabenheit. Es fiel ihm ſogar beinahe unmoͤglich, einer Poeſie, welche den Menſchen nicht idealiſirt, dieſen Ehrennamen zu geben. Wenn uns Schiller aber auch Ideale der Sittlichkeit ſchilderte, ſo wuͤrde dieß zunaͤchſt nur ſeiner eignen Sittlichkeit zur Ehre gereichen, jedoch nichts fuͤr ſeinen poetiſchen Werth entſcheiden. Im Gegentheil ſind die meiſten fruͤhern und ſpaͤtern Tugenddichter große Suͤnder gegen die Poeſie geweſen, und es iſt eben ſo ſchwer, eine edle Menſchennatur zu ſchildern, als zu beſitzen, aber nichts leichter, als die Anmaßung von beidem. Wenn Ideale der Sittlichkeit in einer Perſon dargeſtellt werden ſollen, ſo muß verlangt werden, daß die
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ihrem hoͤhern Adel oder kaͤmpfend in ihrer ſiegenden
Staͤrke zu zeigen, ſo im Taucher, in der Buͤrgſchaft;
oder er legt einen menſchlichen Sinn in die Natur,
und giebt ihren blinden Kraͤften eine ſittliche Bedeu¬
tung, ſo in den Goͤttern Griechenlands, in der Klage
der Ceres, in Hero und Leander, den Kranichen des
Ibikus, der Glocke ꝛc. Selbſt in ſeinen hiſtoriſchen
Schriften iſt es ihm weniger um den epiſchen, der
Naturnothwendigkeit entſprechenden Gang des Gan¬
zen zu thun, als um die hervorſtehenden Charaktere,
das Element der menſchlichen Freiheit im Gegenſatz
gegen jene Nothwendigkeit.
Die Seele aller Schoͤpfungen Schillers ſind ſeine
idealen Menſchen. Er ſchildert uͤberall nur den Men¬
ſchen, aber in ſeiner hoͤchſten ſittlichen Schoͤnheit und
Erhabenheit. Es fiel ihm ſogar beinahe unmoͤglich,
einer Poeſie, welche den Menſchen nicht idealiſirt,
dieſen Ehrennamen zu geben. Wenn uns Schiller
aber auch Ideale der Sittlichkeit ſchilderte, ſo wuͤrde
dieß zunaͤchſt nur ſeiner eignen Sittlichkeit zur Ehre
gereichen, jedoch nichts fuͤr ſeinen poetiſchen Werth
entſcheiden. Im Gegentheil ſind die meiſten fruͤhern
und ſpaͤtern Tugenddichter große Suͤnder gegen die
Poeſie geweſen, und es iſt eben ſo ſchwer, eine edle
Menſchennatur zu ſchildern, als zu beſitzen, aber
nichts leichter, als die Anmaßung von beidem. Wenn
Ideale der Sittlichkeit in einer Perſon dargeſtellt
werden ſollen, ſo muß verlangt werden, daß die
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/128>, abgerufen am 24.11.2024.
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