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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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in dem alle Zeiten und Völker sich verständigen, denn
nur diese Humanität ist das höhere Band, das alle
vereinigt. Von jeher waren die größten Dichter die
Propheten dieser Humanität und nur dadurch haben
sie sich allen Menschen zu den verschiedensten Zeiten
gleich lieb und werth gemacht.

Diese Poesie stellt Ideale der menschlichen Größe
und Schönheit als hellleuchtende Muster auf; sie
denkt sich das Vollkommenste, dessen die menschliche
Natur fähig ist, als wirklich erreicht; sie bringt jede
schöne Seite der Menschen zur Erscheinung, jeden
Keim des Edlen zur Entwicklung. Aber sie dichtet
nicht nur, was nicht wirklich ist, sie nimmt ihre
Bilder auch aus der wirklichen Geschichte und ver¬
ewigt die Helden, die eine höhere Natur in sich aus¬
geboren, die Schranken der Gemeinheit durchbrochen,
und die Menschheit weiter geführt haben. Hier ge¬
räth aber diese Poesie zwischen eine Scylla und Cha¬
rybdis, welche viele Dichter nicht zu vermeiden ge¬
wußt haben. Das Idealisiren erdichteter Personen
führt leicht von der Natur ab ins abstracte Philoso¬
phiren und Moralisiren. Statt eines Menschen gibt
uns der Dichter nur ein trocknes angewandtes Tu¬
gendsystem. Sein Held handelt nicht mehr wie ein
Mensch, sondern wie eine moralische Maschine, und
handelt nicht frei nach seinem edlen Naturtrieb und
freien Willen, sondern sklavisch und mechanisch nach
festgesetzten Begriffen. Auf der andern Seite führen
die historischen Helden, die man aus der Wirklichkeit

in dem alle Zeiten und Voͤlker ſich verſtaͤndigen, denn
nur dieſe Humanitaͤt iſt das hoͤhere Band, das alle
vereinigt. Von jeher waren die groͤßten Dichter die
Propheten dieſer Humanitaͤt und nur dadurch haben
ſie ſich allen Menſchen zu den verſchiedenſten Zeiten
gleich lieb und werth gemacht.

Dieſe Poeſie ſtellt Ideale der menſchlichen Groͤße
und Schoͤnheit als hellleuchtende Muſter auf; ſie
denkt ſich das Vollkommenſte, deſſen die menſchliche
Natur faͤhig iſt, als wirklich erreicht; ſie bringt jede
ſchoͤne Seite der Menſchen zur Erſcheinung, jeden
Keim des Edlen zur Entwicklung. Aber ſie dichtet
nicht nur, was nicht wirklich iſt, ſie nimmt ihre
Bilder auch aus der wirklichen Geſchichte und ver¬
ewigt die Helden, die eine hoͤhere Natur in ſich aus¬
geboren, die Schranken der Gemeinheit durchbrochen,
und die Menſchheit weiter gefuͤhrt haben. Hier ge¬
raͤth aber dieſe Poeſie zwiſchen eine Scylla und Cha¬
rybdis, welche viele Dichter nicht zu vermeiden ge¬
wußt haben. Das Idealiſiren erdichteter Perſonen
fuͤhrt leicht von der Natur ab ins abſtracte Philoſo¬
phiren und Moraliſiren. Statt eines Menſchen gibt
uns der Dichter nur ein trocknes angewandtes Tu¬
gendſyſtem. Sein Held handelt nicht mehr wie ein
Menſch, ſondern wie eine moraliſche Maſchine, und
handelt nicht frei nach ſeinem edlen Naturtrieb und
freien Willen, ſondern ſklaviſch und mechaniſch nach
feſtgeſetzten Begriffen. Auf der andern Seite fuͤhren
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[115/0125] in dem alle Zeiten und Voͤlker ſich verſtaͤndigen, denn nur dieſe Humanitaͤt iſt das hoͤhere Band, das alle vereinigt. Von jeher waren die groͤßten Dichter die Propheten dieſer Humanitaͤt und nur dadurch haben ſie ſich allen Menſchen zu den verſchiedenſten Zeiten gleich lieb und werth gemacht. Dieſe Poeſie ſtellt Ideale der menſchlichen Groͤße und Schoͤnheit als hellleuchtende Muſter auf; ſie denkt ſich das Vollkommenſte, deſſen die menſchliche Natur faͤhig iſt, als wirklich erreicht; ſie bringt jede ſchoͤne Seite der Menſchen zur Erſcheinung, jeden Keim des Edlen zur Entwicklung. Aber ſie dichtet nicht nur, was nicht wirklich iſt, ſie nimmt ihre Bilder auch aus der wirklichen Geſchichte und ver¬ ewigt die Helden, die eine hoͤhere Natur in ſich aus¬ geboren, die Schranken der Gemeinheit durchbrochen, und die Menſchheit weiter gefuͤhrt haben. Hier ge¬ raͤth aber dieſe Poeſie zwiſchen eine Scylla und Cha¬ rybdis, welche viele Dichter nicht zu vermeiden ge¬ wußt haben. Das Idealiſiren erdichteter Perſonen fuͤhrt leicht von der Natur ab ins abſtracte Philoſo¬ phiren und Moraliſiren. Statt eines Menſchen gibt uns der Dichter nur ein trocknes angewandtes Tu¬ gendſyſtem. Sein Held handelt nicht mehr wie ein Menſch, ſondern wie eine moraliſche Maſchine, und handelt nicht frei nach ſeinem edlen Naturtrieb und freien Willen, ſondern ſklaviſch und mechaniſch nach feſtgeſetzten Begriffen. Auf der andern Seite fuͤhren die hiſtoriſchen Helden, die man aus der Wirklichkeit

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/125>, abgerufen am 25.11.2024.