tischen Poesie des Mittelalters blieb nach der Re¬ formation nur noch eine Karrikatur übrig. Das re¬ ligiöse Wunder war verschwunden, es gab nur noch ein profanes, das in Zauberopern, Feenmärchen und Rittergedichten spielte. Daran schlossen sich später die Geistergeschichten, endlich die Karfunkelpoesie Werner's, die magnetischen und diabolischen Novellen Hoffmann's und die Schicksalstragödien. Die ganze Gattung wird dadurch charakterisirt, daß sie das Wunderbare in den Begebenheiten, in der Wir¬ kung romantischer, dunkler Mächte auf die Schicksale der Menschen sucht. Sie ist die gröbste Gattung des Romantischen. Der Mensch erscheint in diesen Dichtungen als ein Spielzeug, als eine Puppe der höhern Macht, und diese ist wieder nur der deus ex machina. Diese Poesie verfehlt ihre Wirkung und wird lächerlich, weil sie allzugrob täuscht und dem Unglauben alle Waffen des Spottes in die Hände gibt.
Die zweite Gattung des Romantischen entstand ein wenig später. Sie sucht das Wunderbare im Menschen, in großen Charakteren, und nähert sich deßfalls der tragischen Kunst der Griechen. Aber wenn diese ihre Charaktere gleich ihren Statuen in völlig plastischer Klarheit darstellen, welches ihnen immer nur in Bezug auf die Handlungen dieser Cha¬ raktere, oder auf den Willen derselben, kurz nur in sittlicher Beziehung gelingen kann, so suchen die Ro¬ mantiker dagegen jene dunklen, geheimnißvollen Tie¬
tiſchen Poeſie des Mittelalters blieb nach der Re¬ formation nur noch eine Karrikatur uͤbrig. Das re¬ ligioͤſe Wunder war verſchwunden, es gab nur noch ein profanes, das in Zauberopern, Feenmaͤrchen und Rittergedichten ſpielte. Daran ſchloſſen ſich ſpaͤter die Geiſtergeſchichten, endlich die Karfunkelpoeſie Werner's, die magnetiſchen und diaboliſchen Novellen Hoffmann's und die Schickſalstragoͤdien. Die ganze Gattung wird dadurch charakteriſirt, daß ſie das Wunderbare in den Begebenheiten, in der Wir¬ kung romantiſcher, dunkler Maͤchte auf die Schickſale der Menſchen ſucht. Sie iſt die groͤbſte Gattung des Romantiſchen. Der Menſch erſcheint in dieſen Dichtungen als ein Spielzeug, als eine Puppe der hoͤhern Macht, und dieſe iſt wieder nur der deus ex machina. Dieſe Poeſie verfehlt ihre Wirkung und wird laͤcherlich, weil ſie allzugrob taͤuſcht und dem Unglauben alle Waffen des Spottes in die Haͤnde gibt.
Die zweite Gattung des Romantiſchen entſtand ein wenig ſpaͤter. Sie ſucht das Wunderbare im Menſchen, in großen Charakteren, und naͤhert ſich deßfalls der tragiſchen Kunſt der Griechen. Aber wenn dieſe ihre Charaktere gleich ihren Statuen in voͤllig plaſtiſcher Klarheit darſtellen, welches ihnen immer nur in Bezug auf die Handlungen dieſer Cha¬ raktere, oder auf den Willen derſelben, kurz nur in ſittlicher Beziehung gelingen kann, ſo ſuchen die Ro¬ mantiker dagegen jene dunklen, geheimnißvollen Tie¬
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tiſchen Poeſie des Mittelalters blieb nach der Re¬
formation nur noch eine Karrikatur uͤbrig. Das re¬
ligioͤſe Wunder war verſchwunden, es gab nur noch
ein profanes, das in Zauberopern, Feenmaͤrchen und
Rittergedichten ſpielte. Daran ſchloſſen ſich ſpaͤter
die Geiſtergeſchichten, endlich die Karfunkelpoeſie
Werner's, die magnetiſchen und diaboliſchen Novellen
Hoffmann's und die Schickſalstragoͤdien. Die ganze
Gattung wird dadurch charakteriſirt, daß ſie das
Wunderbare in den Begebenheiten, in der Wir¬
kung romantiſcher, dunkler Maͤchte auf die Schickſale
der Menſchen ſucht. Sie iſt die groͤbſte Gattung
des Romantiſchen. Der Menſch erſcheint in dieſen
Dichtungen als ein Spielzeug, als eine Puppe der
hoͤhern Macht, und dieſe iſt wieder nur der deus ex
machina. Dieſe Poeſie verfehlt ihre Wirkung und
wird laͤcherlich, weil ſie allzugrob taͤuſcht und dem
Unglauben alle Waffen des Spottes in die Haͤnde
gibt.
Die zweite Gattung des Romantiſchen entſtand
ein wenig ſpaͤter. Sie ſucht das Wunderbare im
Menſchen, in großen Charakteren, und naͤhert
ſich deßfalls der tragiſchen Kunſt der Griechen. Aber
wenn dieſe ihre Charaktere gleich ihren Statuen in
voͤllig plaſtiſcher Klarheit darſtellen, welches ihnen
immer nur in Bezug auf die Handlungen dieſer Cha¬
raktere, oder auf den Willen derſelben, kurz nur in
ſittlicher Beziehung gelingen kann, ſo ſuchen die Ro¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/105>, abgerufen am 27.11.2024.
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