Das Göttliche, das dem Sinne als Wesenheit er¬ schien, offenbarte sich dem Verstande zugleich als Nothwendigkeit und dem Gemüth als Liebe. Gott war etwas wirkliches, etwas nicht allein, aber auch sinnliches. Das System des Cultus, der Heiligen und Wunder erweiterte sich bis zum Pantheismus. Man untersuchte jedoch zugleich die innere logische Consequenz des Göttlichen. Endlich war die pieti¬ stische Gluth des Herzensglanbens damals noch auf's innigste mit dem äußern Cultus und mit der Scho¬ lastik vermählt. Sinn, Verstand und Gefühl durch¬ drangen sich auf mystische Weise in der Idee, und das ganze System war mystischer Idealismus, Ur¬ einheit der Ideen Wesenheit, Nothwendigkeit und Liebe in der Idee Gottes.
Vermöge des inwohnenden Pflegmas zog aber der Sinn die Menschen abwärts und löste das schöne Band auf. Einseitig in grobe Sinnlichkeit entartend, stieß der Katholicismus Verstand und Gemüth von sich, und es geschah der ungeheure Riß wie in den Geistern, so in der Geschichte der Völker. Mit der Einheit war auch die Idee entwichen und das my¬ stische Wunder. Dennoch sollen wir diesen Wandel nicht beklagen, noch in thörichter Selbstverläugnung die höhere Bedeutung der neuen Entwicklung verken¬ nen. Die Idee ist an keine Zeit gebunden, und wir werden sie auf einer höhern Stufe wiedergewinnen. Auf jener Stufe war sie noch unvollkommen entwi¬
Das Goͤttliche, das dem Sinne als Weſenheit er¬ ſchien, offenbarte ſich dem Verſtande zugleich als Nothwendigkeit und dem Gemuͤth als Liebe. Gott war etwas wirkliches, etwas nicht allein, aber auch ſinnliches. Das Syſtem des Cultus, der Heiligen und Wunder erweiterte ſich bis zum Pantheismus. Man unterſuchte jedoch zugleich die innere logiſche Conſequenz des Goͤttlichen. Endlich war die pieti¬ ſtiſche Gluth des Herzensglanbens damals noch auf's innigſte mit dem aͤußern Cultus und mit der Scho¬ laſtik vermaͤhlt. Sinn, Verſtand und Gefuͤhl durch¬ drangen ſich auf myſtiſche Weiſe in der Idee, und das ganze Syſtem war myſtiſcher Idealismus, Ur¬ einheit der Ideen Weſenheit, Nothwendigkeit und Liebe in der Idee Gottes.
Vermoͤge des inwohnenden Pflegmas zog aber der Sinn die Menſchen abwaͤrts und loͤſte das ſchoͤne Band auf. Einſeitig in grobe Sinnlichkeit entartend, ſtieß der Katholicismus Verſtand und Gemuͤth von ſich, und es geſchah der ungeheure Riß wie in den Geiſtern, ſo in der Geſchichte der Voͤlker. Mit der Einheit war auch die Idee entwichen und das my¬ ſtiſche Wunder. Dennoch ſollen wir dieſen Wandel nicht beklagen, noch in thoͤrichter Selbſtverlaͤugnung die hoͤhere Bedeutung der neuen Entwicklung verken¬ nen. Die Idee iſt an keine Zeit gebunden, und wir werden ſie auf einer hoͤhern Stufe wiedergewinnen. Auf jener Stufe war ſie noch unvollkommen entwi¬
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Das Goͤttliche, das dem Sinne als Weſenheit er¬
ſchien, offenbarte ſich dem Verſtande zugleich als
Nothwendigkeit und dem Gemuͤth als Liebe. Gott
war etwas wirkliches, etwas nicht allein, aber auch
ſinnliches. Das Syſtem des Cultus, der Heiligen
und Wunder erweiterte ſich bis zum Pantheismus.
Man unterſuchte jedoch zugleich die innere logiſche
Conſequenz des Goͤttlichen. Endlich war die pieti¬
ſtiſche Gluth des Herzensglanbens damals noch auf's
innigſte mit dem aͤußern Cultus und mit der Scho¬
laſtik vermaͤhlt. Sinn, Verſtand und Gefuͤhl durch¬
drangen ſich auf myſtiſche Weiſe in der Idee, und
das ganze Syſtem war myſtiſcher Idealismus, Ur¬
einheit der Ideen Weſenheit, Nothwendigkeit und
Liebe in der Idee Gottes.
Vermoͤge des inwohnenden Pflegmas zog aber
der Sinn die Menſchen abwaͤrts und loͤſte das ſchoͤne
Band auf. Einſeitig in grobe Sinnlichkeit entartend,
ſtieß der Katholicismus Verſtand und Gemuͤth von
ſich, und es geſchah der ungeheure Riß wie in den
Geiſtern, ſo in der Geſchichte der Voͤlker. Mit der
Einheit war auch die Idee entwichen und das my¬
ſtiſche Wunder. Dennoch ſollen wir dieſen Wandel
nicht beklagen, noch in thoͤrichter Selbſtverlaͤugnung
die hoͤhere Bedeutung der neuen Entwicklung verken¬
nen. Die Idee iſt an keine Zeit gebunden, und wir
werden ſie auf einer hoͤhern Stufe wiedergewinnen.
Auf jener Stufe war ſie noch unvollkommen entwi¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/98>, abgerufen am 16.02.2025.
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