Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

werden wird, und daß dann neue Werke immer
schwieriger durchdringen werden.

Man hat auch häufig dem Preßzwang Schuld
gegeben, daß er viele schlechte Bücher veranlasse,
und zum Theil mit Recht. Im Schatten bleibt manche
Blume verschlossen, aber die Pilze schießen üppig auf.
Indeß erstreckt sich der Preßzwang doch nur auf ge¬
wisse Zweige der Literatur, und in andern, die kein
Censor beschneidet, wird nicht weniger gesündigt.
Man kann nur sagen, daß der Preßzwang den Geist
der Nation überhaupt verdumpft, indem er einzelne
Äußerungen desselben unterdrückt, wie der ganze Kör¬
per krank wird, wenn ein Glied gelähmt ist.

Die Gewalt, welche die Schrift über die Mei¬
nungen übt, und der Einfluß der Meinung auf die
Handlungen machen die Literatur zu einem wichtigen
Gegenstande der Politik. Sofern jeder Staat ein
unbezweifeltes Recht seiner Existenz anspricht und so¬
mit nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht
der Selbsterhaltung sich zuerkennt, muß er nothwen¬
dig dafür sorgen, daß die Literatur keine Meinungen
verbreite, welche jener Existenz gefährlich werden
können, und dies sucht er vermittelst der Censur
zu erreichen. Ob aber jener Zweck, den das Staats¬
recht heiligt, dem allgemeinen Menschenrechte nicht
widerspreche, ob er deßhalb erreicht werden könne,
und ob jenes Mittel, die Censur, das rechte Mittel
sey, das sind andre Fragen.

4 *

werden wird, und daß dann neue Werke immer
ſchwieriger durchdringen werden.

Man hat auch haͤufig dem Preßzwang Schuld
gegeben, daß er viele ſchlechte Buͤcher veranlaſſe,
und zum Theil mit Recht. Im Schatten bleibt manche
Blume verſchloſſen, aber die Pilze ſchießen uͤppig auf.
Indeß erſtreckt ſich der Preßzwang doch nur auf ge¬
wiſſe Zweige der Literatur, und in andern, die kein
Cenſor beſchneidet, wird nicht weniger geſuͤndigt.
Man kann nur ſagen, daß der Preßzwang den Geiſt
der Nation uͤberhaupt verdumpft, indem er einzelne
Äußerungen deſſelben unterdruͤckt, wie der ganze Koͤr¬
per krank wird, wenn ein Glied gelaͤhmt iſt.

Die Gewalt, welche die Schrift uͤber die Mei¬
nungen uͤbt, und der Einfluß der Meinung auf die
Handlungen machen die Literatur zu einem wichtigen
Gegenſtande der Politik. Sofern jeder Staat ein
unbezweifeltes Recht ſeiner Exiſtenz anſpricht und ſo¬
mit nicht nur das Recht, ſondern auch die Pflicht
der Selbſterhaltung ſich zuerkennt, muß er nothwen¬
dig dafuͤr ſorgen, daß die Literatur keine Meinungen
verbreite, welche jener Exiſtenz gefaͤhrlich werden
koͤnnen, und dies ſucht er vermittelſt der Cenſur
zu erreichen. Ob aber jener Zweck, den das Staats¬
recht heiligt, dem allgemeinen Menſchenrechte nicht
widerſpreche, ob er deßhalb erreicht werden koͤnne,
und ob jenes Mittel, die Cenſur, das rechte Mittel
ſey, das ſind andre Fragen.

4 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0085" n="75"/>
werden wird, und daß dann neue Werke immer<lb/>
&#x017F;chwieriger durchdringen werden.</p><lb/>
        <p>Man hat auch ha&#x0364;ufig dem <hi rendition="#g">Preßzwang</hi> Schuld<lb/>
gegeben, daß er viele &#x017F;chlechte Bu&#x0364;cher veranla&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
und zum Theil mit Recht. Im Schatten bleibt manche<lb/>
Blume ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, aber die Pilze &#x017F;chießen u&#x0364;ppig auf.<lb/>
Indeß er&#x017F;treckt &#x017F;ich der Preßzwang doch nur auf ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Zweige der Literatur, und in andern, die kein<lb/>
Cen&#x017F;or be&#x017F;chneidet, wird nicht weniger ge&#x017F;u&#x0364;ndigt.<lb/>
Man kann nur &#x017F;agen, daß der Preßzwang den Gei&#x017F;t<lb/>
der Nation u&#x0364;berhaupt verdumpft, indem er einzelne<lb/>
Äußerungen de&#x017F;&#x017F;elben unterdru&#x0364;ckt, wie der ganze Ko&#x0364;<lb/>
per krank wird, wenn ein Glied gela&#x0364;hmt i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Die Gewalt, welche die Schrift u&#x0364;ber die Mei¬<lb/>
nungen u&#x0364;bt, und der Einfluß der Meinung auf die<lb/>
Handlungen machen die Literatur zu einem wichtigen<lb/>
Gegen&#x017F;tande der Politik. Sofern jeder Staat ein<lb/>
unbezweifeltes Recht &#x017F;einer Exi&#x017F;tenz an&#x017F;pricht und &#x017F;<lb/>
mit nicht nur das Recht, &#x017F;ondern auch die Pflicht<lb/>
der Selb&#x017F;terhaltung &#x017F;ich zuerkennt, muß er nothwen¬<lb/>
dig dafu&#x0364;r &#x017F;orgen, daß die Literatur keine Meinungen<lb/>
verbreite, welche jener Exi&#x017F;tenz gefa&#x0364;hrlich werden<lb/>
ko&#x0364;nnen, und dies &#x017F;ucht er vermittel&#x017F;t der <hi rendition="#g">Cen&#x017F;ur</hi><lb/>
zu erreichen. Ob aber jener Zweck, den das Staats¬<lb/>
recht heiligt, dem allgemeinen Men&#x017F;chenrechte nicht<lb/>
wider&#x017F;preche, ob er deßhalb erreicht werden ko&#x0364;nne,<lb/>
und ob jenes Mittel, die Cen&#x017F;ur, das rechte Mittel<lb/>
&#x017F;ey, das &#x017F;ind andre Fragen.<lb/></p>
        <fw place="bottom" type="sig">4 *<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0085] werden wird, und daß dann neue Werke immer ſchwieriger durchdringen werden. Man hat auch haͤufig dem Preßzwang Schuld gegeben, daß er viele ſchlechte Buͤcher veranlaſſe, und zum Theil mit Recht. Im Schatten bleibt manche Blume verſchloſſen, aber die Pilze ſchießen uͤppig auf. Indeß erſtreckt ſich der Preßzwang doch nur auf ge¬ wiſſe Zweige der Literatur, und in andern, die kein Cenſor beſchneidet, wird nicht weniger geſuͤndigt. Man kann nur ſagen, daß der Preßzwang den Geiſt der Nation uͤberhaupt verdumpft, indem er einzelne Äußerungen deſſelben unterdruͤckt, wie der ganze Koͤr¬ per krank wird, wenn ein Glied gelaͤhmt iſt. Die Gewalt, welche die Schrift uͤber die Mei¬ nungen uͤbt, und der Einfluß der Meinung auf die Handlungen machen die Literatur zu einem wichtigen Gegenſtande der Politik. Sofern jeder Staat ein unbezweifeltes Recht ſeiner Exiſtenz anſpricht und ſo¬ mit nicht nur das Recht, ſondern auch die Pflicht der Selbſterhaltung ſich zuerkennt, muß er nothwen¬ dig dafuͤr ſorgen, daß die Literatur keine Meinungen verbreite, welche jener Exiſtenz gefaͤhrlich werden koͤnnen, und dies ſucht er vermittelſt der Cenſur zu erreichen. Ob aber jener Zweck, den das Staats¬ recht heiligt, dem allgemeinen Menſchenrechte nicht widerſpreche, ob er deßhalb erreicht werden koͤnne, und ob jenes Mittel, die Cenſur, das rechte Mittel ſey, das ſind andre Fragen. 4 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/85
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/85>, abgerufen am 24.11.2024.