Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.gemeine Nothbehelf sind die Tautologien. Wenn das Nachahmungen entstehen unvermeidlich aus 3*
gemeine Nothbehelf ſind die Tautologien. Wenn das Nachahmungen entſtehen unvermeidlich aus 3*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0061" n="51"/> gemeine Nothbehelf ſind die Tautologien. Wenn das<lb/> Flickwort nur einen aͤhnlichen Sinn hat, ſo meint<lb/> der Überſetzer, er habe genug gethan, ſofern nur zu¬<lb/> gleich das Metrum und der Reim gut ins Ohr fallen.<lb/> Aber Tautologien ſind ihm durchaus nicht erlaubt.<lb/> Er ſoll nicht ein aͤhnliches, ſondern das einzig rich¬<lb/> tige Wort gebrauchen; verlangt es der Reim oder<lb/> das Metrum anders, ſo iſt es damit nicht entſchul¬<lb/> digt, denn nicht der Reim, ſondern der Sinn iſt die<lb/> Hauptſache. Von dem geruͤgten Übelſtande ſchreibt<lb/> ſich die ungemeine Verſchiedenheit von Überſetzungen<lb/> ein und deſſelben Autors her, und wieder die unge¬<lb/> meine Gleichheit der verſchiedenſten Autoren, wenn<lb/> ſie einer uͤberſetzt hat. Von Dante, Taſſo, Petrarca,<lb/> Camoens beſitzen wir Überſetzungen, die weit von ein¬<lb/> ander abweichen, wo faſt jeder Vers anders conſtruirt<lb/> und gereimt iſt; und umgekehrt ſehn ſich Homer,<lb/> Heſiod, Theokrit, Äſchylos, Ariſtophanes, Virgil,<lb/> Horaz, Ovid, Shakespeare ꝛc. in den Voßiſchen Über¬<lb/> ſetzungen ſo aͤhnlich, wie ein Ei dem andern. In<lb/> beiden Faͤllen wird der Charakter des Originals ver¬<lb/> faͤlſcht, wenn auch der Wortklang noch ſo kuͤnſtlich<lb/> copirt iſt.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Nachahmungen</hi> entſtehen unvermeidlich aus<lb/> der Anerkenntniß fremder Vortrefflichkeiten. Warum<lb/> ſollten wir das nicht nachahmen, was nuͤtzlich oder<lb/> ſchoͤn und edel iſt? Wir begehn aber insgemein den<lb/> Fehler, ſtatt der Sachen nur Formen nachahmen zu<lb/> wollen. Wir ſollten fuͤr unſre Zeit und nach unſrer<lb/> <fw place="bottom" type="sig">3*<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [51/0061]
gemeine Nothbehelf ſind die Tautologien. Wenn das
Flickwort nur einen aͤhnlichen Sinn hat, ſo meint
der Überſetzer, er habe genug gethan, ſofern nur zu¬
gleich das Metrum und der Reim gut ins Ohr fallen.
Aber Tautologien ſind ihm durchaus nicht erlaubt.
Er ſoll nicht ein aͤhnliches, ſondern das einzig rich¬
tige Wort gebrauchen; verlangt es der Reim oder
das Metrum anders, ſo iſt es damit nicht entſchul¬
digt, denn nicht der Reim, ſondern der Sinn iſt die
Hauptſache. Von dem geruͤgten Übelſtande ſchreibt
ſich die ungemeine Verſchiedenheit von Überſetzungen
ein und deſſelben Autors her, und wieder die unge¬
meine Gleichheit der verſchiedenſten Autoren, wenn
ſie einer uͤberſetzt hat. Von Dante, Taſſo, Petrarca,
Camoens beſitzen wir Überſetzungen, die weit von ein¬
ander abweichen, wo faſt jeder Vers anders conſtruirt
und gereimt iſt; und umgekehrt ſehn ſich Homer,
Heſiod, Theokrit, Äſchylos, Ariſtophanes, Virgil,
Horaz, Ovid, Shakespeare ꝛc. in den Voßiſchen Über¬
ſetzungen ſo aͤhnlich, wie ein Ei dem andern. In
beiden Faͤllen wird der Charakter des Originals ver¬
faͤlſcht, wenn auch der Wortklang noch ſo kuͤnſtlich
copirt iſt.
Nachahmungen entſtehen unvermeidlich aus
der Anerkenntniß fremder Vortrefflichkeiten. Warum
ſollten wir das nicht nachahmen, was nuͤtzlich oder
ſchoͤn und edel iſt? Wir begehn aber insgemein den
Fehler, ſtatt der Sachen nur Formen nachahmen zu
wollen. Wir ſollten fuͤr unſre Zeit und nach unſrer
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