lichkeit desselben wiedergeben. Die erstern herrschen vor. Ein guter Klang, ein gefälliger Rhythmus und Reim besticht das Ohr und läßt über einen mangel¬ haften Sinn wegsehn. Die meisten metrischen Über¬ setzungen opfern ungescheut den Inhalt auf, um den Wohlklang, das Versmaß, den Reim zu retten. Sinn¬ treue, aber hartklingende Übersetzungen kann man nicht gut leiden, und wenn man gar einen Dichter des treuen Verständnisses wegen in Prosa übersetzt, so mag ihn niemand lesen. Man hat hierin aber wohl Unrecht. Allerdings liegt ein großer Theil des Zaubers, womit uns ein Dichter befängt, in seinen Rhythmen und Reimen, aber doch immer nur, so¬ fern dieselben gewisse poetische Bilder und Gedanken einkleiden, und in diesen beruht der größte Zauber, jenes äußere Kleid des Wohlklanges dient nur diesem. Werden diese Bilder verwischt, diese Gedanken ver¬ dunkelt oder verfälscht, so verliert auch der Wohl¬ klang seinen Zauber. Unsre metrischen Üebersetzer las¬ sen dies nur zu häufig außer Acht. Bei antiken Ori¬ ginalen künsteln sie das Metrum, bei romantischen die Zahl und Verschlingung der Reime nach. Um dieses schwierige Unternehmen zu Stande zu bringen, opfern sie unbedenklich die Verständlichkeit, ja sogar die Wahrheit auf. Sie verrenken und verschrauben die Construction, lassen aus und flicken ein, und ge¬ brauchen sogar oft ganz andere Bilder und Worte, weil die rechte Construction und das rechte Wort nicht ins Metrum oder zum Reime paßt. Der all¬
lichkeit deſſelben wiedergeben. Die erſtern herrſchen vor. Ein guter Klang, ein gefaͤlliger Rhythmus und Reim beſticht das Ohr und laͤßt uͤber einen mangel¬ haften Sinn wegſehn. Die meiſten metriſchen Über¬ ſetzungen opfern ungeſcheut den Inhalt auf, um den Wohlklang, das Versmaß, den Reim zu retten. Sinn¬ treue, aber hartklingende Überſetzungen kann man nicht gut leiden, und wenn man gar einen Dichter des treuen Verſtaͤndniſſes wegen in Proſa uͤberſetzt, ſo mag ihn niemand leſen. Man hat hierin aber wohl Unrecht. Allerdings liegt ein großer Theil des Zaubers, womit uns ein Dichter befaͤngt, in ſeinen Rhythmen und Reimen, aber doch immer nur, ſo¬ fern dieſelben gewiſſe poetiſche Bilder und Gedanken einkleiden, und in dieſen beruht der groͤßte Zauber, jenes aͤußere Kleid des Wohlklanges dient nur dieſem. Werden dieſe Bilder verwiſcht, dieſe Gedanken ver¬ dunkelt oder verfaͤlſcht, ſo verliert auch der Wohl¬ klang ſeinen Zauber. Unſre metriſchen Üeberſetzer laſ¬ ſen dies nur zu haͤufig außer Acht. Bei antiken Ori¬ ginalen kuͤnſteln ſie das Metrum, bei romantiſchen die Zahl und Verſchlingung der Reime nach. Um dieſes ſchwierige Unternehmen zu Stande zu bringen, opfern ſie unbedenklich die Verſtaͤndlichkeit, ja ſogar die Wahrheit auf. Sie verrenken und verſchrauben die Conſtruction, laſſen aus und flicken ein, und ge¬ brauchen ſogar oft ganz andere Bilder und Worte, weil die rechte Conſtruction und das rechte Wort nicht ins Metrum oder zum Reime paßt. Der all¬
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lichkeit deſſelben wiedergeben. Die erſtern herrſchen
vor. Ein guter Klang, ein gefaͤlliger Rhythmus und
Reim beſticht das Ohr und laͤßt uͤber einen mangel¬
haften Sinn wegſehn. Die meiſten metriſchen Über¬
ſetzungen opfern ungeſcheut den Inhalt auf, um den
Wohlklang, das Versmaß, den Reim zu retten. Sinn¬
treue, aber hartklingende Überſetzungen kann man
nicht gut leiden, und wenn man gar einen Dichter
des treuen Verſtaͤndniſſes wegen in Proſa uͤberſetzt,
ſo mag ihn niemand leſen. Man hat hierin aber
wohl Unrecht. Allerdings liegt ein großer Theil des
Zaubers, womit uns ein Dichter befaͤngt, in ſeinen
Rhythmen und Reimen, aber doch immer nur, ſo¬
fern dieſelben gewiſſe poetiſche Bilder und Gedanken
einkleiden, und in dieſen beruht der groͤßte Zauber,
jenes aͤußere Kleid des Wohlklanges dient nur dieſem.
Werden dieſe Bilder verwiſcht, dieſe Gedanken ver¬
dunkelt oder verfaͤlſcht, ſo verliert auch der Wohl¬
klang ſeinen Zauber. Unſre metriſchen Üeberſetzer laſ¬
ſen dies nur zu haͤufig außer Acht. Bei antiken Ori¬
ginalen kuͤnſteln ſie das Metrum, bei romantiſchen
die Zahl und Verſchlingung der Reime nach. Um
dieſes ſchwierige Unternehmen zu Stande zu bringen,
opfern ſie unbedenklich die Verſtaͤndlichkeit, ja ſogar
die Wahrheit auf. Sie verrenken und verſchrauben
die Conſtruction, laſſen aus und flicken ein, und ge¬
brauchen ſogar oft ganz andere Bilder und Worte,
weil die rechte Conſtruction und das rechte Wort
nicht ins Metrum oder zum Reime paßt. Der all¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/60>, abgerufen am 25.11.2024.
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