gewisse Resignatinn ist nothwendig, wenn wir voll¬ kommen für das Fremde empfänglich werden sollen. Untersuchen wir die Hindernisse, welche bei so vielen Völkern die Fortschritte der Cultur aufgehalten ha¬ ben, so werden wir sie weniger in der Rohheit der¬ selben, als in der Selbstzufriedenheit und in den Vorurtheilen ihres Nationalstolzes finden. Immer aber sind je die edelsten Völker zugleich die tolerantesten gewesen, und die niedrigsten immer die eitelsten.
Es ist indeß nicht nur jene philosophische Rich¬ tung unsers Charakters, die Bildungsfähigkeit und Wißbegier, der Entwicklungstrieb und das ideale Streben, sondern auch eine poetische Richtung, ein romantischer Hang, der uns das Fremde lieben macht. Eine poetische Illusion schwebt verschönernd um alles Fremde und nimmt unsre Phantasie gefan¬ gen. Was nur fremd ist, erweckt eine romantische Stimmung in uns, selbst wenn es schlechter ist, als was wir längst selber haben. Darum nehmen wir so vieles von Fremden an, was uns keineswegs in uns¬ rer Entwicklung weiter bringt, und die Einbildung macht erst eine Neigung verderblich, die der Verstand billigen muß, indem er sie ermäßigt. Wenn die Ein¬ bildung einmal übertreibt, so begehn wir immer zwei Fehler zugleich, den der blinden, sklavischen Hinge¬ bung an das Fremde und den einer blinden Verken¬ nung unsrer selbst. Wir besitzen die poetische Gabe, uns zu mystificiren, uns gleichsam in dramatische Personen zu verwandeln und einer fremden Illusion
gewiſſe Reſignatinn iſt nothwendig, wenn wir voll¬ kommen fuͤr das Fremde empfaͤnglich werden ſollen. Unterſuchen wir die Hinderniſſe, welche bei ſo vielen Voͤlkern die Fortſchritte der Cultur aufgehalten ha¬ ben, ſo werden wir ſie weniger in der Rohheit der¬ ſelben, als in der Selbſtzufriedenheit und in den Vorurtheilen ihres Nationalſtolzes finden. Immer aber ſind je die edelſten Voͤlker zugleich die toleranteſten geweſen, und die niedrigſten immer die eitelſten.
Es iſt indeß nicht nur jene philoſophiſche Rich¬ tung unſers Charakters, die Bildungsfaͤhigkeit und Wißbegier, der Entwicklungstrieb und das ideale Streben, ſondern auch eine poetiſche Richtung, ein romantiſcher Hang, der uns das Fremde lieben macht. Eine poetiſche Illuſion ſchwebt verſchoͤnernd um alles Fremde und nimmt unſre Phantaſie gefan¬ gen. Was nur fremd iſt, erweckt eine romantiſche Stimmung in uns, ſelbſt wenn es ſchlechter iſt, als was wir laͤngſt ſelber haben. Darum nehmen wir ſo vieles von Fremden an, was uns keineswegs in unſ¬ rer Entwicklung weiter bringt, und die Einbildung macht erſt eine Neigung verderblich, die der Verſtand billigen muß, indem er ſie ermaͤßigt. Wenn die Ein¬ bildung einmal uͤbertreibt, ſo begehn wir immer zwei Fehler zugleich, den der blinden, ſklaviſchen Hinge¬ bung an das Fremde und den einer blinden Verken¬ nung unſrer ſelbſt. Wir beſitzen die poetiſche Gabe, uns zu myſtificiren, uns gleichſam in dramatiſche Perſonen zu verwandeln und einer fremden Illuſion
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gewiſſe Reſignatinn iſt nothwendig, wenn wir voll¬
kommen fuͤr das Fremde empfaͤnglich werden ſollen.
Unterſuchen wir die Hinderniſſe, welche bei ſo vielen
Voͤlkern die Fortſchritte der Cultur aufgehalten ha¬
ben, ſo werden wir ſie weniger in der Rohheit der¬
ſelben, als in der Selbſtzufriedenheit und in den
Vorurtheilen ihres Nationalſtolzes finden. Immer aber
ſind je die edelſten Voͤlker zugleich die toleranteſten
geweſen, und die niedrigſten immer die eitelſten.
Es iſt indeß nicht nur jene philoſophiſche Rich¬
tung unſers Charakters, die Bildungsfaͤhigkeit und
Wißbegier, der Entwicklungstrieb und das ideale
Streben, ſondern auch eine poetiſche Richtung, ein
romantiſcher Hang, der uns das Fremde lieben
macht. Eine poetiſche Illuſion ſchwebt verſchoͤnernd
um alles Fremde und nimmt unſre Phantaſie gefan¬
gen. Was nur fremd iſt, erweckt eine romantiſche
Stimmung in uns, ſelbſt wenn es ſchlechter iſt, als
was wir laͤngſt ſelber haben. Darum nehmen wir ſo
vieles von Fremden an, was uns keineswegs in unſ¬
rer Entwicklung weiter bringt, und die Einbildung
macht erſt eine Neigung verderblich, die der Verſtand
billigen muß, indem er ſie ermaͤßigt. Wenn die Ein¬
bildung einmal uͤbertreibt, ſo begehn wir immer zwei
Fehler zugleich, den der blinden, ſklaviſchen Hinge¬
bung an das Fremde und den einer blinden Verken¬
nung unſrer ſelbſt. Wir beſitzen die poetiſche Gabe,
uns zu myſtificiren, uns gleichſam in dramatiſche
Perſonen zu verwandeln und einer fremden Illuſion
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/55>, abgerufen am 16.07.2024.
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