Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

auf, und noch jetzt drängt sich ein verknöchertes
Standesinteresse der Literatur auf; noch jetzt beherr¬
schen Priester die Theologie, bevogten Fakultäten
zunftmäßig die weltlichen Wissenschaften. Der freie
Sinn, die starke Natur der Deutschen hat sich zwar
seit der Wiederauflebung der Wissenschaften unauf¬
hörlich gegen den Kastengeist aufgelehnt, und wir
bemerken einen beständigen Kampf origineller Köpfe
gegen die Schulen, eine beständige Wiedergeburt der
weltalten Fehde zwischen Priestern und Propheten.
Auch haben die Letztern immer das Feld behauptet,
die deutsche Natur hat ihre freie Äußerung, ihre
immer reichere und höhere Entfaltung gegen jedes
Stabilitätsprincip durchgefochten, und jeder einseiti¬
gen Erstarrung ist, wie früher durch die Kirchen¬
trennung, so später durch den mannichfaltigen Wis¬
sensstreit der Gelehrten und durch die Geschmacks¬
fehden der Dichter immer vorgebeugt worden. Im¬
mer neue Parteien haben das von den andern ver¬
worfne Element bei sich gepflegt und ausgebildet,
wodurch denn beinahe allen ihr Recht geworden. In¬
deß hat, wie in der Politik, so in der Literatur, der
Geist der alten gewohnten Herrschaft, wo er besiegt
worden, immer in den Siegern selbst fortgewirkt.
Der negative Punkt hat sich sofort in einen positi¬
ven umgesetzt. Die Propheten sind wieder Priester
geworden, haben das Princip der Autorität und
Stabilität in sich aufgenommen und unter andern
Glaubensformeln das alte Monopol angesprochen und

auf, und noch jetzt draͤngt ſich ein verknoͤchertes
Standesintereſſe der Literatur auf; noch jetzt beherr¬
ſchen Prieſter die Theologie, bevogten Fakultaͤten
zunftmaͤßig die weltlichen Wiſſenſchaften. Der freie
Sinn, die ſtarke Natur der Deutſchen hat ſich zwar
ſeit der Wiederauflebung der Wiſſenſchaften unauf¬
hoͤrlich gegen den Kaſtengeiſt aufgelehnt, und wir
bemerken einen beſtaͤndigen Kampf origineller Koͤpfe
gegen die Schulen, eine beſtaͤndige Wiedergeburt der
weltalten Fehde zwiſchen Prieſtern und Propheten.
Auch haben die Letztern immer das Feld behauptet,
die deutſche Natur hat ihre freie Äußerung, ihre
immer reichere und hoͤhere Entfaltung gegen jedes
Stabilitaͤtsprincip durchgefochten, und jeder einſeiti¬
gen Erſtarrung iſt, wie fruͤher durch die Kirchen¬
trennung, ſo ſpaͤter durch den mannichfaltigen Wiſ¬
ſensſtreit der Gelehrten und durch die Geſchmacks¬
fehden der Dichter immer vorgebeugt worden. Im¬
mer neue Parteien haben das von den andern ver¬
worfne Element bei ſich gepflegt und ausgebildet,
wodurch denn beinahe allen ihr Recht geworden. In¬
deß hat, wie in der Politik, ſo in der Literatur, der
Geiſt der alten gewohnten Herrſchaft, wo er beſiegt
worden, immer in den Siegern ſelbſt fortgewirkt.
Der negative Punkt hat ſich ſofort in einen poſiti¬
ven umgeſetzt. Die Propheten ſind wieder Prieſter
geworden, haben das Princip der Autoritaͤt und
Stabilitaͤt in ſich aufgenommen und unter andern
Glaubensformeln das alte Monopol angeſprochen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0044" n="34"/>
auf, und noch jetzt dra&#x0364;ngt &#x017F;ich ein verkno&#x0364;chertes<lb/>
Standesintere&#x017F;&#x017F;e der Literatur auf; noch jetzt beherr¬<lb/>
&#x017F;chen Prie&#x017F;ter die Theologie, bevogten Fakulta&#x0364;ten<lb/>
zunftma&#x0364;ßig die weltlichen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften. Der freie<lb/>
Sinn, die &#x017F;tarke Natur der Deut&#x017F;chen hat &#x017F;ich zwar<lb/>
&#x017F;eit der Wiederauflebung der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften unauf¬<lb/>
ho&#x0364;rlich gegen den Ka&#x017F;tengei&#x017F;t aufgelehnt, und wir<lb/>
bemerken einen be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Kampf origineller Ko&#x0364;pfe<lb/>
gegen die Schulen, eine be&#x017F;ta&#x0364;ndige Wiedergeburt der<lb/>
weltalten Fehde zwi&#x017F;chen Prie&#x017F;tern und Propheten.<lb/>
Auch haben die Letztern immer das Feld behauptet,<lb/>
die deut&#x017F;che Natur hat ihre freie Äußerung, ihre<lb/>
immer reichere und ho&#x0364;here Entfaltung gegen jedes<lb/>
Stabilita&#x0364;tsprincip durchgefochten, und jeder ein&#x017F;eiti¬<lb/>
gen Er&#x017F;tarrung i&#x017F;t, wie fru&#x0364;her durch die Kirchen¬<lb/>
trennung, &#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;ter durch den mannichfaltigen Wi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ens&#x017F;treit der Gelehrten und durch die Ge&#x017F;chmacks¬<lb/>
fehden der Dichter immer vorgebeugt worden. Im¬<lb/>
mer neue Parteien haben das von den andern ver¬<lb/>
worfne Element bei &#x017F;ich gepflegt und ausgebildet,<lb/>
wodurch denn beinahe allen ihr Recht geworden. In¬<lb/>
deß hat, wie in der Politik, &#x017F;o in der Literatur, der<lb/>
Gei&#x017F;t der alten gewohnten Herr&#x017F;chaft, wo er be&#x017F;iegt<lb/>
worden, immer in den Siegern &#x017F;elb&#x017F;t fortgewirkt.<lb/>
Der negative Punkt hat &#x017F;ich &#x017F;ofort in einen po&#x017F;iti¬<lb/>
ven umge&#x017F;etzt. Die Propheten &#x017F;ind wieder Prie&#x017F;ter<lb/>
geworden, haben das Princip der Autorita&#x0364;t und<lb/>
Stabilita&#x0364;t in &#x017F;ich aufgenommen und unter andern<lb/>
Glaubensformeln das alte Monopol ange&#x017F;prochen und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0044] auf, und noch jetzt draͤngt ſich ein verknoͤchertes Standesintereſſe der Literatur auf; noch jetzt beherr¬ ſchen Prieſter die Theologie, bevogten Fakultaͤten zunftmaͤßig die weltlichen Wiſſenſchaften. Der freie Sinn, die ſtarke Natur der Deutſchen hat ſich zwar ſeit der Wiederauflebung der Wiſſenſchaften unauf¬ hoͤrlich gegen den Kaſtengeiſt aufgelehnt, und wir bemerken einen beſtaͤndigen Kampf origineller Koͤpfe gegen die Schulen, eine beſtaͤndige Wiedergeburt der weltalten Fehde zwiſchen Prieſtern und Propheten. Auch haben die Letztern immer das Feld behauptet, die deutſche Natur hat ihre freie Äußerung, ihre immer reichere und hoͤhere Entfaltung gegen jedes Stabilitaͤtsprincip durchgefochten, und jeder einſeiti¬ gen Erſtarrung iſt, wie fruͤher durch die Kirchen¬ trennung, ſo ſpaͤter durch den mannichfaltigen Wiſ¬ ſensſtreit der Gelehrten und durch die Geſchmacks¬ fehden der Dichter immer vorgebeugt worden. Im¬ mer neue Parteien haben das von den andern ver¬ worfne Element bei ſich gepflegt und ausgebildet, wodurch denn beinahe allen ihr Recht geworden. In¬ deß hat, wie in der Politik, ſo in der Literatur, der Geiſt der alten gewohnten Herrſchaft, wo er beſiegt worden, immer in den Siegern ſelbſt fortgewirkt. Der negative Punkt hat ſich ſofort in einen poſiti¬ ven umgeſetzt. Die Propheten ſind wieder Prieſter geworden, haben das Princip der Autoritaͤt und Stabilitaͤt in ſich aufgenommen und unter andern Glaubensformeln das alte Monopol angeſprochen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/44
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/44>, abgerufen am 23.11.2024.