aber die Wahrheit als Resultat zu fördern und mit den Zweifeln anzufangen, ist wahres Gift für die Jugend. Wenn hier die Einfachheit in Bezug auf die Methode verletzt wird, so geschieht dasselbe in Bezug auf die Gegenstände des Unterrichts durch die Polyhistorei, der man sich dabei ergibt; nur das Ge¬ wisse, Einfache, Klare haftet in der jugendlichen Seele und bringt gedeihliche Früchte. Durch die so¬ kratische Methode wird der einfachste Gegenstand ver¬ worren, ungenießbar, widerlich, und durch die über¬ reiche Menge von Kenntnissen, die man der Jugend in Encyclopädien und Sammlungen bietet, wird auch der klarste kindliche Kopf verwirrt, und gewöhnt sich leicht an ein oberflächliches Wissen und gefällt sich in dem eitlen Vorzug, vieles schlecht, statt wenig gut zu wissen. Sodann sind fast alle Unterhaltungs- und Unterrichtsbücher auf die möglichst früheste Aufklä¬ rung der Jugend berechnet. Dahin gehört, daß man ihr alles Mystische, Wunderbare, Ahnungsvolle, Rüh¬ rende, sobald sie es empfinden, mit Stumpf und Stiel ausrottet. Der Zauber der Natur wird ihnen in baare naturwissenschaftliche Prosa aufgelöst, wäh¬ rend, seltsam genug, die Naturphilosophen denselben Zauber wieder retten. Die kindliche Liebe, diese herr¬ liche wildwachsende Blume, wird geflissentlich ausge¬ rottet, um dem Treibhausgewächs einer steifen, eng¬ herzigen, gebotnen, schulmäßig zu erlernenden Moral Platz zu machen. Man rechnet den Kindern nur das als Tugend an, was sie aus Gehorsam gegen eine
aber die Wahrheit als Reſultat zu foͤrdern und mit den Zweifeln anzufangen, iſt wahres Gift fuͤr die Jugend. Wenn hier die Einfachheit in Bezug auf die Methode verletzt wird, ſo geſchieht daſſelbe in Bezug auf die Gegenſtaͤnde des Unterrichts durch die Polyhiſtorei, der man ſich dabei ergibt; nur das Ge¬ wiſſe, Einfache, Klare haftet in der jugendlichen Seele und bringt gedeihliche Fruͤchte. Durch die ſo¬ kratiſche Methode wird der einfachſte Gegenſtand ver¬ worren, ungenießbar, widerlich, und durch die uͤber¬ reiche Menge von Kenntniſſen, die man der Jugend in Encyclopaͤdien und Sammlungen bietet, wird auch der klarſte kindliche Kopf verwirrt, und gewoͤhnt ſich leicht an ein oberflaͤchliches Wiſſen und gefaͤllt ſich in dem eitlen Vorzug, vieles ſchlecht, ſtatt wenig gut zu wiſſen. Sodann ſind faſt alle Unterhaltungs- und Unterrichtsbuͤcher auf die moͤglichſt fruͤheſte Aufklaͤ¬ rung der Jugend berechnet. Dahin gehoͤrt, daß man ihr alles Myſtiſche, Wunderbare, Ahnungsvolle, Ruͤh¬ rende, ſobald ſie es empfinden, mit Stumpf und Stiel ausrottet. Der Zauber der Natur wird ihnen in baare naturwiſſenſchaftliche Proſa aufgeloͤſt, waͤh¬ rend, ſeltſam genug, die Naturphiloſophen denſelben Zauber wieder retten. Die kindliche Liebe, dieſe herr¬ liche wildwachſende Blume, wird gefliſſentlich ausge¬ rottet, um dem Treibhausgewaͤchs einer ſteifen, eng¬ herzigen, gebotnen, ſchulmaͤßig zu erlernenden Moral Platz zu machen. Man rechnet den Kindern nur das als Tugend an, was ſie aus Gehorſam gegen eine
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aber die Wahrheit als Reſultat zu foͤrdern und mit
den Zweifeln anzufangen, iſt wahres Gift fuͤr die
Jugend. Wenn hier die Einfachheit in Bezug auf
die Methode verletzt wird, ſo geſchieht daſſelbe in
Bezug auf die Gegenſtaͤnde des Unterrichts durch die
Polyhiſtorei, der man ſich dabei ergibt; nur das Ge¬
wiſſe, Einfache, Klare haftet in der jugendlichen
Seele und bringt gedeihliche Fruͤchte. Durch die ſo¬
kratiſche Methode wird der einfachſte Gegenſtand ver¬
worren, ungenießbar, widerlich, und durch die uͤber¬
reiche Menge von Kenntniſſen, die man der Jugend
in Encyclopaͤdien und Sammlungen bietet, wird auch
der klarſte kindliche Kopf verwirrt, und gewoͤhnt ſich
leicht an ein oberflaͤchliches Wiſſen und gefaͤllt ſich
in dem eitlen Vorzug, vieles ſchlecht, ſtatt wenig gut
zu wiſſen. Sodann ſind faſt alle Unterhaltungs- und
Unterrichtsbuͤcher auf die moͤglichſt fruͤheſte Aufklaͤ¬
rung der Jugend berechnet. Dahin gehoͤrt, daß man
ihr alles Myſtiſche, Wunderbare, Ahnungsvolle, Ruͤh¬
rende, ſobald ſie es empfinden, mit Stumpf und
Stiel ausrottet. Der Zauber der Natur wird ihnen
in baare naturwiſſenſchaftliche Proſa aufgeloͤſt, waͤh¬
rend, ſeltſam genug, die Naturphiloſophen denſelben
Zauber wieder retten. Die kindliche Liebe, dieſe herr¬
liche wildwachſende Blume, wird gefliſſentlich ausge¬
rottet, um dem Treibhausgewaͤchs einer ſteifen, eng¬
herzigen, gebotnen, ſchulmaͤßig zu erlernenden Moral
Platz zu machen. Man rechnet den Kindern nur das
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/284>, abgerufen am 23.11.2024.
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